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Margos Spuren

Margos Spuren

Titel: Margos Spuren
Autoren: John Green
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das Telefon aufzuheben. »Aber es war gut mit Ruthie zu sprechen, oder?«
    »Ja, Ruthie ist ziemlich süß. Irgendwie hasse ich mich dafür … du weißt schon … dass ich mich nicht bei ihr gemeldet habe.«
    »Ja«, sage ich. Sie schubst mich spielerisch.
    »Du sollst mich trösten , nicht alles noch schlimmer machen!«, sagt sie. »Das ist dein Job.«
    »Mir war nicht klar, dass es meine Aufgabe ist, dir alles recht zu machen, Mrs. Spiegelman.«
    Sie lacht. »Oho, der Vergleich mit der Mutter. Volltreffer. Aber nur fair. Und, wie ist es dir so ergangen? Wenn Ben Lacey gekriegt hat, hattest du wahrscheinlich jede Nacht Orgien mit einem Dutzend Cheerleadern.«
    Langsam schlendern wir über das holprige Erdreich. Das Feld wirkt nicht so groß, aber beim Gehen stelle ich fest, dass wir den Bäumen auf der andere Seite kein bisschen näher kommen. Ich erzähle Margo von unserem überstürzten Aufbruch vor der Zeugnisverleihung und von der wundersamen Pirouette des Kreisels. Ich erzähle ihr vom Abschlussball, von Laceys Streit mit Becca und von meinem Abend in Osprey. »In der Nacht wurde mir klar, dass du da gewesen sein musstest«, sage ich, »die Decke hat noch nach dir gerochen.«
    Als ich es sage, berühren sich unsere Hände, und ich nehme ihre Hand, weil ich spüre, dass jetzt weniger kaputtgehen kann. Sie sieht mich an. »Ich musste weg. Ich hätte dir keine Angst organisieren sollen, das war dumm von mir, und ich hätte meinen Aufbruch besser machen sollen, aber weggehen musste ich. Verstehst du das jetzt?«
    »Ja«, sage ich. »Aber ich finde, du kannst jetzt zurückkommen. Ehrlich.«
    »Nein, findest du nicht«, erwidert sie, und sie hat recht. Sie sieht es mir an – ich habe verstanden, dass ich nicht sie sein kann und dass sie nicht ich sein kann. Vielleicht hatte Whitman eine Gabe, die mir fehlt. Aber was mich betrifft : Ich muss den Verwundeten fragen, wo er verletzt ist, denn ich kann nicht der Verwundete werden. Der einzige Verwundete, der ich sein kann, bin ich.
     
    Ich trample das Gras nieder und setze mich. Sie legt sich neben mich, den Rucksack als Kissen. Auch ich lege mich zurück. Sie greift in den Rucksack und gibt mir ein paar Bücher als Kissen. Ausgewählte Gedichte von Emily Dickinson und Grashalme . »Das Buch hatte ich zweimal«, sagt sie lächelnd.
    »Es ist ein verdammt gutes Buch«, sage ich zu ihr. »Du hättest kein besseres aussuchen können.«
    »Eigentlich war es eine spontane Wahl an dem Morgen. Ich habe mich an die Stelle mit der Tür erinnert und fand, es passt. Aber als ich hier war, habe ich es noch mal gelesen. Das letzte Mal war in der Zehnten, und ja, ich fand es schön. Ich habe viele Gedichte gelesen. Ich wollte dahinterkommen – was es war, das mich an dir so überrascht hat in dieser Nacht? Lange dachte ich, es wäre das Zitat von T. S. Eliot.«
    »Aber das war es nicht«, sage ich. »Es war mein Bizeps und wie elegant ich durchs Fenster klettern kann.«
    Sie grinst. »Halt die Klappe und nimm das Kompliment an, du Dumpfbacke. Es war weder das Gedicht noch dein Bizeps. Was mich überrascht hat, war, dass du – trotz deiner Panikattacken und so weiter – genau wie der Quentin aus meinem Roman warst. Seit Jahren schreibe ich quer über die Geschichte, und beim Überschreiben lese ich die Seite noch mal, und ich muss jedes Mal lachen und denke – nimm’s nicht persönlich : ›Wahnsinn, dass ich Quentin Jacobsen mal für einen supersüßen, supertapferen Kämpfer für die Gerechtigkeit gehalten habe.‹ Und dann warst du das wirklich.«
    Ich könnte mich zu ihr umdrehen, und vielleicht würde sie sich zu mir umdrehen. Und dann könnten wir uns küssen. Aber was bringt es jetzt noch, sie zu küssen? Es führt nirgendwohin. Wir starren in den wolkenlosen Himmel. »Nichts passiert so, wie man es sich vorstellt«, sagt sie.
    Der Himmel ist wie ein modernes monochromatisches Gemälde, das mich mit seiner Illusion von Tiefe einsaugt und emporhebt. »Ja, das stimmt«, sage ich, aber dann denke ich darüber nach. »Andererseits, wenn man sich nichts vorstellt, passiert auch nichts.« Die Vorstellung ist nie vollkommen. Man kann sich nicht ganz in einen anderen Menschen hineinversetzen. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass Margo sauer ist, wenn wir sie finden, und auch die Geschichte nicht, die sie überschreibt. Aber sich vorzustellen, jemand anderes zu sein, oder sich vorzustellen, dass die Welt eine andere ist, ist trotzdem der einzige Weg. Das ist die
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