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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell
Autoren: Vom Winde verweht
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verhüllt hatte. Es war nicht Ashley ... nie
im Leben! In ihm war nicht mehr Wärme als im Irrlicht, nicht mehr Sicherheit
als auf dem Flugsand. Es war Rhett, der starke Arme hatte, sie zu beschützen,
eine Brust, an der sie ihren müden Kopf bergen konnte, ein spöttisches Lachen,
vor dem ihre Sorgen klein wurden, und ein Verständnis, das wie sie die
Wirklichkeit wirklich sah und nicht durch die Schleier hohler Begriffe von Ehre
und Opfer entstellte. Er liebte sie! Warum hatte sie nicht erkannt, daß er
trotz aller Boshaftigkeit, die ihr das Gegenteil weismachen sollte, sie liebte?
Melanie hatte es erkannt und ihr mit dem letzten Atemzug ans Herz gelegt: »Sei
gut zu ihm.«
    »Ach«,
dachte sie bei sich, »Ashley ist nicht der einzige törichte verblendete Mensch.
Auch ich hätte sehen müssen.«
    Jahrelang
hatte sie nun die steinerne Mauer von Rhetts Liebe im Rücken gehabt und so
selbstverständlich hingenommen wie Melanies Liebe, in dem eitlen Wahn, sie
schöpfe alle Kraft aus sich selbst. Wie sie erst jetzt erkannt hatte, daß
Melanie ihr überall zur Seite gestanden, so ging ihr nun auf, daß auch Rhett
stets schweigend und hilfsbereit hinter ihr gestanden hatte. Rhett auf dem
Basar, wie er ihr die Ungeduld an den Augen ablas und sie zum Tanze führte,
Rhett, der ihr die Knechtschaft der Trauer sprengte, Rhett, der sie durch die
Feuersbrunst von Atlanta geleitete, Rhett, der ihr das Geld lieh, mit dem sie
ihre Existenz gründete, Rhett, der sie tröstete, wenn sie in der Nacht aus
Alpdrücken erwachte ... das alles tat doch kein Mann, wenn er eine Frau nicht
bis zum Wahnsinn liebte!
    Von den
Bäumen tropfte die Nässe auf sie herab, aber sie spürte es nicht. Der Nebel umhüllte
sie, und sie achtete nicht darauf. Sie dachte an Rhetts braunes Gesicht, seine
weißen Zähne und seine dunklen prüfenden Augen, und ein Zittern durchlief sie.
    »Ich liebe
ihn!« Auch dies nahm sie ohne viel Verwunderung hin, wie ein Kind, das sich
etwas schenken läßt. »Wie lange schon, weiß ich nicht, aber es ist so. Wäre
nicht Ashley gewesen, ich hätte es längst erkannt. Ich bin überhaupt nie fähig
gewesen, die Welt zu sehen, wie sie ist, weil immer Ashley mir im Wege stand.«
    Sie liebte
ihn, den Taugenichts, den Schurken, der keine Gewissensbisse und keine Ehre
kannte, wenigstens nicht die Ehre, die Ashley besaß. »Verwünscht sei Ashleys
Ehre«, dachte sie. »Ashleys Ehre hat mich immer im Stich gelassen. Ja, vom
ersten Augenblick an, da er nicht aufhörte, mich zu besuchen, obwohl er wußte,
daß er Melanie heiraten würde. Rhett aber hat mich nie im Stich gelassen. Auch
nicht nach jenem furchtbaren Abend von Mellys Gesellschaft, als er mir den Hals
hätte umdrehen sollen. Selbst als er mich in der Nacht auf der Landstraße
verließ, wußte er, daß mir nichts geschehen würde. Er wußte, irgendwie käme ich
durch. Auch im Gefängnis, als er so tat, als wolle er mich für das Darlehen
bezahlen lassen. Er hätte mich nicht genommen, er wollte mich nur prüfen. Immer
und immer hat er mich geliebt, und ich bin schlecht gegen ihn gewesen. Immer
wieder habe ich ihm weh getan, und er war zu stolz, es sich anmerken zu lassen.
Und als Bonnie starb ... ach, wie konnte ich nur!«
    Entschlossen
stand sie auf. Noch vor einer halben Stunde hatte sie gemeint, sie habe alles
auf der Welt verloren, was das Leben lebenswert machte, Ellen, Gerald, Bonnie,
Mammy, Melanie und Ashley. Alle hatte sie sie verlieren müssen, ehe sie zu der
Erkenntnis kam, daß sie Rhett liebte, weil er stark war und skrupellos,
leidenschaftlich und erdhaft wie sie selbst.
    »Ich will
ihm alles sagen«, nahm sie sich vor. »Er wird mich verstehen, er hat mich immer
verstanden. Ich will ihm sagen, wie töricht ich gewesen bin und daß ich ihn
liebe und alles wiedergutmachen will.«
    Auf einmal
fühlte sie sich stark und glücklich. Ihr bangte nicht mehr vor Nebel und
Dunkelheit. Frohlockenden Herzens spürte sie, ihr werde nun nie wieder bange
sein. Einerlei, was für Nebel ihre Zukunft umwallten, sie wußte, wo ihre
Zufluchtsstätte war. Rasch machte sie sich auf den Weg nach Hause. Sie raffte
die Röcke zusammen und begann leichtfüßig zu laufen, aber nicht aus Angst. Nun
lief sie, weil am Ende der Straße Rhetts Arme sie erwarteten.
    Die
Haustür war nur angelehnt. Atemlos kam Scarlett in die Halle gelaufen und blieb
einen Augenblick unter den glitzernden Prismen des Kronleuchters stehen. Bei
all seiner Helligkeit war das Haus ganz still. Es war aber nicht
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