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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi
Autoren: Justina Robson
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offenbart hatte, den anderen neu sein musste. So weit hatten sie nicht vorausgeplant – Mappaware funktionstüchtig zu machen war so lange ihr Ziel gewesen, dass Überlegungen zur weiteren Entwicklung auf die Mußestunden beschränkt blieb, und Muße hatte es keine gegeben. Natalie jedoch hatte ganze Nächte hindurch nachdenken können und ihren Verstand darauf verwendet. Sie wusste, dass ihr Mappa Mundi sich ausgebreitet hätte, bevor die US-amerikanischen und europäischen Geheimdienste Gegenmaßnahmen einleiten konnten. Auch die Regierungsmitglieder würden schleichend davon befallen, und dann gäbe es, wie Guskow so treffend vorhergesagt hatte, gegen seine Ideen keinen nennenswerten Widerstand mehr. Was in den darauf folgenden Jahren käme, ließ sich nicht mehr vorhersehen, doch für die umgekehrte Situation, dass die USA das Zepter in der Hand hielten, galt genau das Gleiche. Sämtliche Alternativen waren schlecht, doch sie hielt ihre Mappa-Mundi-Version für die moralisch am wenigsten fragwürdige Möglichkeit.
    »Und Sie haben so lange daran getüftelt, dass es keine Massenpanik auslöst?«, fragte Kropotkin beißend, aber nicht ganz unbeeindruckt.
    »Akzeptanz als Standardreaktion ist bereits eingebaut«, entgegnete sie trocken und war sich dabei bewusst, dass es wie eine Autoreklame klang. »Niemand wird eine Revolution anzetteln. Niemand wird überschnappen und anfangen, den Leuten die Köpfe abzuhacken.«
    Jude unterbrach sie, indem er einen weiteren heftigen Hustenanfall bekam. Er hielt sich das Papierknäuel, das er seit einer Weile benutzte, vor den Mund, und alle sahen, wie es sich scharlachrot färbte. Er stöhnte, als sein Hustenkrampf schließlich endete.
    »Was ist mit den Leuten, die nicht infiziert sind, aber wissen, dass sie sich anstecken könnten? Was soll sie aufhalten?«, gelang es ihm zu flüstern.
    Natalie betrachtete ihn mit wachsender Besorgnis. Die Krankheit war nicht so schlimm, wie es aussah – schlimm wurde es erst, wenn die Millionen kleiner Sporen sich öffneten und das Marburg-Virus freisetzten. Er hatte eine gute Frage gestellt, und Natalie konnte sie nicht beantworten.
    »Jude«, sagte sie. »Ich werde bald fortgehen. Dann solltest du die Anlage als Erster verlassen und auf Zeit spielen. Je mehr Vorsprung ich bekomme, desto besser. Dann kann Guskow gehen, und die Übrigen hier können mich entschuldigen, bis es offensichtlich zu spät ist.«
    »Wir sollten alle gemeinsam gehen«, sagte Jude mit Mühe. »Guskow voran. Andernfalls töten sie wahrscheinlich jeden, der hier zurückbleibt. Wenn sie glauben, dass Sie Informationen vernichtet haben, werden sie nicht zögern. Sie werden stürmen und erst schießen und später Fragen stellen.«
    Alicia Khan ergriff das Wort. Sie hielt sich den Arm, wo man ihr eine Blutprobe entnommen hatte, als schmerzte die Stelle. »Ich kann nicht fassen, dass Sie das wirklich ausprobieren wollen. Was ist, wenn alles schief geht? Der Risikofaktor ist astronomisch. Zu viele Faktoren sind unbekannt.«
    »In welchem Fall Risikoabschätzungen sowieso unmöglich sind«, stimmte Natalie ihr zu. »Nennen Sie uns eine andere Wahl, und wir sind dabei.«
    »In den Achtzigerjahren glaubte jeder, dass es einen Atomkrieg gibt«, entgegnete Khan. »Dennoch ist es nie so weit gekommen. Die Strategie der Abschreckung hat funktioniert. Es gab keinen Erstschlag. Halten Sie es nicht für denkbar, dass wir technisch gesehen vor einer ähnlichen Situation stehen? Jeder hat es, aber niemand benutzt es? Wenn sie es jetzt verbreiten, ungetestet, unerprobt – das wäre wie Hiroschima. Sie wissen nicht, was es anrichten wird.«
    »Es wird bereits benutzt«, sagte Jude. »Wie in Hiroschima. Es wurde schon angewendet. Ich habe es gesehen.«
    »Ich glaube, wir müssen auch nicht darauf hinweisen, welche Nation als Einzige jemals einen atomaren Sprengkopf im Krieg eingesetzt hat«, fügte Guskow hinzu und musterte Khan verächtlich und mit zusammengepressten Lippen. »Ihr Land ist dafür bekannt, bei der Konfrontation mit einem schwächeren Feind als Erster zu schießen.«
    Khan verdrehte die Augen; sie hielt seine Bemerkung für einen billigen Seitenhieb, der allenfalls die Standardantwort verdient hatte. »Aber der Krieg war zu Ende.«
    »Ja«, sagte er, »und er war nicht das Einzige, was zu Ende ging. Unser Zeitalter begann, in dem die tiefste Tasche und die klügsten Köpfe Waffen in der Hand halten, gegen die kein Widerstand mehr möglich ist.«
    »Wenn Hiroschima und
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