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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder
Autoren: Anna Geller
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Drahtseil.
    „Gott“, murmelte er.
    „Sie ist mit einem Stahldraht erdrosselt worden“, erklärte Susanne und legte ihre Hände auf seine Schultern. „So ein Ding zur Abflussreinigung. Kriegst du in jedem Baumarkt. Aber er hätte sie nicht mehr … sie wäre sowieso …“
    Die Hände auf seinen Schultern verkrampften sich. Und Susannes folgende Erläuterungen waren nicht mehr die einer abgehärteten Polizistin. Es war der stockende Bericht einer zutiefst erschütterten Frau.
    „Er ist … er ist vorne und hinten in sie eingedrungen. Offenbar mit großer Gewalt. Anscheinend … er hat zuerst eine Kerze benutzt. Vielleicht … um sie weiter zu machen. Wir haben neben der Leiche eine blaue Kerze gefunden und blaue Stearinreste in der Vagina. Sie war nicht betäubt, Chris. Sie hat … hat sicher noch einiges mitbekommen. Sie hatte mehrere Rippen-und Oberschenkelfrakturen, wahrscheinlich durch das Körpergewicht des Täters. Nach menschlichem Ermessen hat sie spätestens zu diesem Zeitpunkt das Bewusstsein verloren. Es gab so gut wie kein … Organ mehr, das unverletzt war. Dickdarm und Milz gerissen, und so weiter. Er … er hätte sie nicht mehr erdrosseln müssen. Sie wäre an den Verletzungen sowieso gestorben. Sie war … sie war ganz zerrissen, Chris.“
    „Der Missbrauch …“, begann er, räusperte sich, weil die Stimme kippte. Als er zum zweiten Mal ansetzte, legte er die Fotos auf den Tisch, um sie gleich darauf wieder in die Hand zu nehmen. „Der Missbrauch fand vor Eintritt des Todes statt?“
    „Eindeutig, ja! Das belegt die Menge Blut, die sie verloren hat. Ebenso besagen punktförmige Blutungen im Auge, dass der Tod erst durch Erdrosseln eingetreten ist.“
    Wie unter Zwang sah er sich jetzt die anderen Bilder an. Eingehend und genau. Konnte einfach nicht aufhören damit, obwohl ihm speiübel war.
    Endlich stopfte er die Bilder zurück in den Umschlag und wischte sich verstohlen ein paar Tränen aus den Augenwinkeln. Susannes Hände lagen weiterhin auf seinen Schultern. Irgendwie war er dankbar dafür.
    „Willst du das Mandat immer noch?“, fragte die Kommissarin hinter ihm leise.
    Chris zwang sich zu einem Nicken und schluckte zwei, drei Mal, ehe er seiner Stimme halbwegs traute. „Ja, zum Teufel! Sag mir was zu den Ermittlungen.“
    Susanne ließ ihn los und setzte sich auf die Kante des Schreibtischs. „Wir stehen noch am Anfang. Wir führen Anwohnerbefragungen durch, sammeln Hinweise aus der Bevölkerung, tummeln uns im Familien-und Freundeskreis der Seibolds. Na, du weißt, wie das läuft.“
    „Also keine heiße Spur?“
    Sie schüttelte den Kopf und biss sich auf die Lippen.
    „Lasst ihr den Tatort bewachen?“
    „Diskret natürlich. Ich hab mich belehren lassen, dass etwa fünfzig Prozent aller Triebtäter nochmal an den Tatort zurückkehren, um sich erneut zu stimulieren. Aber ich hab so eine Ahnung, dass sich dieser Fall nicht so einfach lösen lässt.“
     
    Zwei Stunden später stand Chris hilflos einem weinenden Wolfgang Seibold gegenüber. Er sah in dessen hohlwangiges und unrasiertes Gesicht und wusste zunächst nicht, was er sagen sollte. Es schien ihm sogar unangemessen, sein Beileid auszusprechen.
    Er war froh, dass Susanne mitgekommen war, denn als sie Seibold mit leiser Stimme, aber dennoch energisch bat, sich zu beruhigen, weil sie noch ein paar Fragen an ihn hatte, versiegte dessen Tränenfluss tatsächlich. Augenblicklich fühlte auch Chris sich unbefangener und schalt sich innerlich eine Memme. Er verteidigte mit Engagement und Feuereifer Prostituierte und kleine Dealer, aber mit einem weinenden Mann, der um seine Tochter trauerte, konnte er nicht umgehen?
    Im Geiste krempelte er die Ärmel hoch, und als Susanne fertig war, sprach er behutsam mit Seibold über verschiedene Formalitäten. Er musste wissen, ob es eine Sarg-oder Urnenbestattung geben sollte, wie die Seibolds sich die Trauerfeier vorstellten, ob sie Kontakt zum „Weißen Ring“ haben wollten, einer Organisation, die Verbrechensopfer in vielen Belangen unterstützte. Gefühlte tausend Kleinigkeiten mussten geklärt werden, aber Seibold behielt bei all dem die Fassung und traf klare Entscheidungen.
    Als sie fertig waren, verlangte Wolfgang Seibold plötzlich von Susanne, dass sie ihm alles erzählte. Jedes Detail, wie sie sie gefunden hatten, was die Obduktion ergeben hatte. Chris versuchte zwar, ihm das auszureden, aber er blieb stur.
    Schließlich stimmte Susanne zu, bedeutete Chris aber, sie mit
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