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Man tut, was man kann (German Edition)

Man tut, was man kann (German Edition)

Titel: Man tut, was man kann (German Edition)
Autoren: Hans Rath
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genau genommen nie, aber ich bin froh, heute Abend hier zu sein.» Kurze Kunstpause. «Der Sekt ist übrigens auch hervorragend.» Beim letzten Satz hob ich mein Ikea-Glas mit der darin befindlichen Discounter-Plörre und lächelte abermals.
    Bronko schielte weiterhin links an mir vorbei Richtung Büfett, andererseits rechts an mir vorbei Richtung Tür. Ich vermutete mal, er fixierte mich, und für einen kurzen Moment hatte ich die schlimme Befürchtung, er könnte ein attischer Seher sein und mich durchschaut haben. Dann aber hob er ebenfalls sein Glas, prostete mir zu, erwiderte: «Das ist doch schön, genießen Sie den Abend», und machte sich davon, um mutmaßlich einen graumelierten Herrn mit Schal anzusteuern, den ich wahlweise für einen Kulturfunktionär oder den Inhaber einer Schwulenbar hielt.
    In jenem Moment, in dem Bronko sich abwandte, wirbelte Kathrin herum.
    «Hi, ich bin die Kathrin.»
    «Hallo, Kathrin.»
    «Ich habe gerade mitbekommen, wie Sie mit Bronko gesprochen haben, und ich finde es ganz toll, dass Sie ihm Mut machen. Er wünscht sich doch so sehr, ein Künstler zu sein …»
    Kathrin, das kenne ich, ich wünsche mir manchmal auch, ein Philanthrop zu sein. Oder zumindest ein netter Kerl.
    «… die Ärzte hatten ja schon fast die Hoffnung aufgegeben, es sah so aus, als würde er nie wieder richtig sehen können …»
    Vor meinem geistigen Auge sah ich Halbgötter in Weiß, fassungslos, kopfschüttelnd und mit Tränen in den Augen über Bronkos Patientenakte gebeugt.
    «… aber dann hat dieser Professor Siebenstein aus der Schweiz einen riskanten Eingriff gewagt und ihn gerettet.»
    Kathrin strahlte mich an, als hätte sie mir gerade den Stoff für einen internationalen Kinohit geliefert. Ich stellte mir Tom Cruise in der Rolle des Bronko vor, auf einen kalten, silbrig schimmernden OP-Tisch geschnallt, umringt von einem internationalen Ärzteteam, angeführt von Professor Siebenstein, für dessen Verkörperung Sean Connery später einen Oscar bekommen würde.
    Ich nippte an meinem Sekt und erwog, so etwas zu sagen wie «War jedenfalls nett, Sie kennenzulernen» und mich wieder Bronkos Kritzeleien zuzuwenden, aber Kathrin versperrte mir den Weg. Offenbar bestand sie auf ein bisschen Smalltalk.
    «Sie kennen ihn ziemlich gut, oder?», fragte ich.
    «Ja, er ist mein Bruder – aber wollen wir nicht du sagen?»
    Ihr Bruder, aha. Ich überlegte, wer denn dann Kathrin verkörpern würde in «Licht der Leidenschaft» – so hatte ich den Kinohit über Bronkos Augenoperation mal provisorisch genannt. Müsste so ein Typ sein wie die junge Liza Minelli. Obwohl Kathrin ein ebenmäßigeres Gesicht hatte und deutlich unglamouröser war. Vielleicht Keira Knightley? Nein, viel zu schön. Natalie Portman? Um Gottes willen, nein, viel, viel zu schön. Von der Anmutung her würde am ehesten die junge Mireille Matthieu passen. Vielleicht müsste man sich in Frankreich umsehen. Wie hieß noch gleich diese Darstellerin aus «Die fabelhafte Welt der Amélie»?
    Kathrin wartete. Sie wollte ein Du. Und sie wollte meinen Namen.
    «Gerne. Ich bin Paul.»
    «Kathrin – aber das weißt du ja schon. Noch ’n Sekt?»
    So, jetzt hing ich drin. Kathrin wollte sich offenbar nicht nur kurz dafür bedanken, dass ich ihrem sehbehinderten Bruder Mut gemacht hatte, weiter an seiner Malerkarriere zu arbeiten. Vielmehr wähnte sie sich einem sensiblen Zeitgenossen gegenüber, der mit Behinderten gut umgehen konnte, demgemäß vielleicht auch tier- und kinderlieb war, leidlich zeugungsfähig aussah, sich für Kultur interessierte und seiner Kleidung nach zu urteilen einer geregelten Tätigkeit nachging. Ich war also gerade auf ihrer Kandidatenliste gelandet.
    «Klar», sagte ich und versuchte einen möglichst lockeren Eindruck zu machen, derweil mein Leben vor meinem geistigen Auge im Zeitraffer ablief wie in der «Merci»-Werbung. Kathrin und ich als Teenager. Wir veranstalten eine Schneeballschlacht, fallen uns dabei lachend und küssend in die Arme. Schnitt. Kathrin und ich als junges Paar. In unserem ersten eigenen Pkw düsen wir Richtung Italien, sie lacht, ich lache ebenfalls, in der Ferne ist Canossa zu sehen. Schnitt. Kathrin ist hochschwanger, schmückt einen Weihnachtsbaum. Ich komme gerade aus dem Büro, offenbar bin ich selbständig und bis über beide Ohren verschuldet, aber jetzt, da ich die heimische Wärme spüre, fällt sämtliche Anspannung von mir ab. Ich sehe sie dankbar an, sie lächelt aufmunternd.
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