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Maechtiger Samstag

Maechtiger Samstag

Titel: Maechtiger Samstag
Autoren: Garth Nix
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kehrt, um wegzurennen, denn auf einmal schlug ihm das Herz bis zum Hals, sein Mund war staubtrocken. Aber nach dem ersten panischen Schritt blieb er stehen und drehte sich wieder um: Die Nichtswoge kam unbeirrbar näher und schickte sich an, auf ihn herabzustürzen – zur Flucht war es längst zu spät. Er bezweifelte, dass der Fünfte Schlüssel ihn vor dem so gewaltig einströmenden Nichts schützen konnte, jedenfalls nicht, wenn er die Macht des Schlüssels nicht aktiv lenkte.
    Ich muss etwas tun, dachte Arthur – und handelte gedankenschnell.
    Im selben Moment, als die Nichtswoge auf ihn niederbrauste, hob er den Spiegel und drückte ihn gegen den finsteren, herabstürzenden Himmel.
    »Halt!«, schrie er mit machtvoller Stimme und nahm seine ganze Geisteskraft zusammen, um das Unglück aufzuhalten. »Halt! Bei den Schlüsseln, die ich innehabe, befehle ich dem Nichts anzuhalten! Haus, du musst dich dagegen behaupten!«
    Gleißendes Licht flutete aus dem Spiegel. Heiße weiße Strahlen schössen hervor, die die Luft versengten, prallten gegen das aufwogende Nichts und hinterließen in seiner Dunkelheit kleine grelle Spritzer.
    Arthur spürte einen entsetzlichen Schmerz in seinem Herzen wachsen. Der Schmerz breitete sich aus und raste in seine Arme und Beine. Seine Gelenke krachten fürchterlich. Er musste die Augen zusammenkneifen und schreien, als die Zähne in seinem Kiefer eine neue, fehlerlose Ordnung einnahmen. Dann bewegte sich der Kiefer selbst, und Arthur spürte, wie sich die Knochenplatten seines Schädels verformten und verschoben.
    Aber er hielt den Spiegel weiter über seinen Kopf, selbstals er auf die Knie sank. Er benutzte den Schmerz, kanalisierte ihn, befeuerte damit seine Konzentration und lenkte seinen Willen gegen das anbrausende Nichts.
    Schließlich war es zu viel. Arthur konnte weder den Schmerz noch länger ertragen, noch die Anstrengung durchhalten. Er fiel nach vorn aufs Gesicht, und seine Schreie gingen in dumpfe Seufzer über. Seine Kraft war erschöpft. Er ließ den Fünften Schlüssel auf den schmalen Streifen Gras fallen, der von dem Rasen rings um die Tagraumvilla übrig geblieben war.
    Dort lag er halb betäubt und wartete auf die Vernichtung, wissend, dass er versagt hatte und dass, wenn er starb, das ganze Universum ihm in den Tod folgen würde. Alles, was er liebte, würde zerstört werden, daheim auf der Erde, im Haus und in den übrigen Welten.
    Eine Minute verstrich, dann eine zweite, und die Vernichtung blieb aus. Als der Schmerz in seinen Knochen nachließ, rollte Arthur sich ächzend auf den Rücken: Er wollte lieber sehend untergehen, als besiegt auf dem Bauch im Gras liegend.
    Das Erste, was er sah, war nicht seine beginnende Vernichtung, sondern ein feines Flechtwerk leuchtender goldener Linien wie ein Spinnennetz oder ein biegsames Gitter aus Licht, das über den Himmel geworfen war. Es hielt die gewaltige Masse der Finsternis zurück. Aber Arthur konnte den Druck des Nichts spüren, konnte fühlen, wie die unendliche Leere sich gegen ihre Beschränkung stemmte. Er wusste, dass sie sein Netz aus Licht bald überwinden und erneut vordringen würde.
    Arthur nahm den Spiegel an sich und erhob sich schwankend. Der Boden unter seinen Füßen fühlte sich weiter weg an als sonst; einen Moment lang ließ ihn sein Gleichgewichtssinn im Stich, sodass er taumelte. Das Gefühl verging, als er den Kopf schüttelte, und er lief zurück zur Tür. Er wusste, dass es in der Bibliothek ein Telefon gab, und er musste telefonieren und herausfinden, wo man im Haus noch sicher war, statt blindlings irgendwohin zu gehen, wo das Nichts vielleicht schon die Oberhand hatte. Er wollte gar nicht darüber nachdenken, was geschähe, wenn er dem Fünften Schlüssel unwissentlich befehlen würde, ihn geradewegs ins Nichts zu bringen – obwohl das vermutlich ein schneller Tod wäre …
    Vielleicht würde mich der Schlüssel auch kurze Zeit beschützen, dachte Arthur mit plötzlichem Ekel. Lange genug, dass ich noch spüre, wie das Nichts mein Fleisch zersetzt …
    Er hastete den Hauptkorridor entlang, bis er eine Tür sah, die er wiedererkannte, sauste hindurch, nahm die Treppenstufen viererweise im Sprung und prallte gegen die Wände, weil er die Biegungen des Treppenaufgangs zu schnell nahm.
    Oben angekommen, sprintete er durch einen weiteren langen Flur, der ebenfalls durch Stapel von Aufzeichnungen verengt wurde, von denen viele auf Papyrus oder Pergament statt auf Papier geschrieben waren.
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