Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Madru

Madru

Titel: Madru
Autoren: Frederik Hetmann
Vom Netzwerk:
nie so weit nach Norden gekommen war. »Weiter … was noch?« fragte der Ritter. Sein Unbehagen wuchs. Auf einer großen Lichtung, ein oder zwei Tagereisen von der Grenze, läge der Palast des Herrschers: eine Holzhalle. Der Kastellan verfiel in eine Art Singsang, als habe er all dies schon wiederholt zum Besten gegeben. »Moosbeeren so groß wie Kürbisse. Sie ernähren sich nicht wie unsereiner von Getreide, sondern von Pilzen und Beeren. Auch viel Wild. Wein aus dem zuckrigen Saft eines Baumes … die geräucherten Lachsforellen sind eine Delikatesse. Und manchmal tanzen die Waldmenschen drei Tage und drei Nächte hindurch. Jedermann, müßt Ihr wissen, nennt die Norrländer hier Waldmenschen. Eine Musik, daß man Risse ins Trommelfell bekommen könnte. Die Fiedler sind zugleich Zauberer. Ihre Fiedeln haben sie den Wassergeistern abgegaunert, so sagt man.«
    »Warum hat man sie nicht längst unterworfen und ihnen Sitte und Ordnung beigebracht?«
    »Schwierig, Herr«, antwortete der Kastellan, »die Sümpfe, die Irrlichter, das dunkle Wasser, der dichte Wald, Zauber … Ihr werdet es ja selbst noch erleben. Seid auf der Hut!«
    Jessach verwünschte den Tag, an dem er sich auf dieses Unternehmen eingelassen hatte, aber dann dachte er an die zweitausend Felle, die er heimzutragen hoffte.
    »Wie transportiert man den Tribut?« erkundigte er sich. »Die Waldmenschen stellen Euch Träger.«
    »Nun sagt einmal, Herr Kastellan …«, der Ritter zögerte und dämpfte darauf seine Stimme. »Gibt es hier in der Gegend Zwerge?«
    Der Kastellan faßte sich an seinen Knebelbart und wiegte den Kopf. »Schwer zu sagen, Herr. Manche behaupten, es gebe sie. Andere wieder lachen darüber nur.«
    »Eure Meinung?« verlangte der Ritter.
    Der Mann machte eine Handbewegung, als sei das Thema eines Streites nicht wert: »Wer bin ich, um jemanden, der sie gesehen hat, überzeugen zu können, daß es sie nicht gibt. Und wäre es nicht leichtfertig zu behaupten, es gibt sie nicht, nur weil sie sich mir noch nicht gezeigt haben?«
    »Wenn ich Euch recht verstehe, würdet Ihr jedenfalls nicht ausschließen, daß es sie gibt?«
    »Wer länger hier oben in dieser gottverlassenen Einsamkeit haust, hält so ziemlich alles für möglich, Herr.«
    Jessach brummte etwas Unverständliches und wandte sich ab. Hier oben im Norden folgte dem Abend nicht die Dunkelheit der Nacht. Zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang blieb graues Zwielicht. Etwa die Farbe der Blüten von Schilfgras. Jessach lag wach und dachte an das Land, von dem der Kastellan erzählt hatte. Seine Furcht davor nahm er mit in seine Träume. Am anderen Tag führte der Weg durch eine Wiesenlandschaft. Die Sonne stach. Den dunklen Wald sah man im Osten und Westen am Horizont. Als ob man in ein aufgerissenes Maul hineinlaufe. Jessach deutete mit der Hand dort hinüber und fragte die Träger der Sänfte in der Sprache von Svea, ob dies schon der Große Wald sei. Sie hielten einen Augenblick inne, schauten erschreckt in die Richtung, in die er gewiesen hatte, schüttelten den Kopf und trabten dann weiter.
    Den ganzen Tag über veränderte die Gegend kaum ihr Aussehen. Wiesen. Keine Häuser. Blauer Himmel und am Nachmittag große Wolkendriften. Bäche glucksten zwischen Gräsern, weißgelben, roten und blauen Blumen. Hin und wieder stand ein kleiner See wie ein braunes Auge im Grün. Der Wald blieb als dunkle Mauer. Weit fortgerückt am Horizont.
    Zur Nacht schlugen die Soldaten für den Ritter ein Zelt auf und zündeten ein großes Feuer an. Während er wieder lange schlaflos dalag, wurde ihm klar, weshalb ihn die Furcht auch den ganzen Tag über nicht verlassen hatte. Langsam begriff er, was der Kastellan versucht hatte zu beschreiben. Dieses Land war so erschreckend leer. Keine Gehöfte. Keine Scheuern. Keine Hütten. Nie ein Boot auf den Teichen. Keine Menschen. Am anderen Tag war die Sänfte den Soldaten bald wieder weit voraus. Jessach mochte befehlen was er wollte, die Träger taten, als verstünden sie seine Anweisung nicht. Zorn über seine Machtlosigkeit staute sich in ihm. Die Wände des Gelasses, in dem man ihn trug, waren ihm so nah, daß sie ihn bedrängten. Er öffnete die Fenster rechts und links. Mit der frischen Luft trieben Mückenschleier herein.
     

ZWEITES KAPITEL
    Ritter Jessach trifft ein Feenschuß
    Ein Baumfrevel • Trommeln und Mord
    in einer Vollmondnacht

    Es gab eine ruckartige Bewegung. Krachend schlug die Sänfte auf und blieb in schiefer Lage mit der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher