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Machtkampf

Machtkampf

Titel: Machtkampf
Autoren: Manfred Bomm
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abseits aller Ortschaften, äsendes Wild aufscheuchte.
    Hans Melzinger, der sich trotz seiner 73 Jahre nicht von der kleinen Landwirtschaft trennen konnte, obwohl sie nur noch ein beschwerliches Hobby war, liebte diesen erdigen Duft, der sich beim Aufreißen des harten und steinigen Bodens mit der feuchten Abendluft vermischte. In Kombination mit dem Dieselruß des Traktors erinnerte ihn dies an jenen Geruch, der für ihn seit Kindheitstagen zum Herbst gehörte wie der anheimelnde Qualm eines Kartoffelfeuers.
    Als das Waldeck näher rückte, schob sich ein olivgrüner Geländewagen in sein Blickfeld. Das Fahrzeug parkte neben dem Feldweg, der an dieser Stelle in eine Tannenschonung hineinführte. Melzinger kannte den Wagen und sah instinktiv zu dem mächtigen Hochsitz, der nur knapp 50 Meter davon entfernt in eine kräftige Eiche gezimmert war. Vermutlich saß der Eigentümer des Autos in der trutzigen Kanzel, die aus einer Holzkonstruktion samt Fenster bestand und gegen Wind und Wetter schützte. Dort oben, das wusste Melzinger, verbrachte Viehhändler Max Hartmann aus dem Nachbarort Böhmenkirch manchmal ganze Nächte. Und dies wohl nicht immer allein, munkelte man. Die Ausmaße des Hochsitzes, der eher an ein Baumhaus erinnerte, ließen jedenfalls vermuten, dass dies alles nicht nur dem Aufenthalt eines einsamen Jägers diente. Und weil Hartmann ein in Ehren ergrauter Junggeselle war, dazu noch ziemlich wohlhabend und naturverbunden, gab es Anlass für jede Menge Spekulationen.
    Mit jeder Reihe, die der Landwirt in sein Feld pflügte, kam er näher an den Hochsitz heran. Obwohl die Dämmerung bereits hereingebrochen war, fiel ihm an der Fensterscheibe ein seltsamer Reflex auf. Bei der nächsten Vorbeifahrt hielt er deshalb an, um genauer hinsehen zu können. Eindeutig: Das Glas war zersprungen, ein Teil offenbar herausgebrochen. Doch so sehr er sich auch anstrengte, er konnte im Dunkel des Hochsitzes niemanden sehen. Melzinger zögerte kurz, trat dann aufs Gaspedal, hob den Pflug hinter sich hydraulisch an und schwenkte von seiner Route entlang der Furchen ab, um direkt auf den Hochsitz zuzusteuern. Nach wenigen Sekunden hatte er den Waldrand erreicht, stellte den Motor ab und lauschte. Doch da war niemand. »Max!«, rief er deshalb, so laut er konnte. »Max, bist du da?«
    Keine Antwort. Nur das Zwitschern eines Vogels erfüllte die friedliche Abendstille.
    Melzinger stieg von seinem Traktor und ging auf die stabile Holzleiter zu, die steil zu der seitlich angebrachten Tür des Hochsitzes hinaufführte.
    Der Landwirt sah über die dicken, naturbelassenen Sprossen hinweg nach oben. Frisches, regennasses Erdreich haftete an den Tritthölzern.
    »Max!«, rief er noch einmal, während er gleichzeitig bemerkte, dass die Tür des Hochsitzes einen Spalt weit geöffnet war. Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, bis ihm das Gesehene den Atem raubte. Denn was er dort oben, etwa vier Meter überm Boden, zu erkennen glaubte, schnürte ihm förmlich den Hals zu. Er wich instinktiv zurück. Obwohl das fahle Abendlicht alle Farben matt erscheinen ließ, bestand kaum ein Zweifel: Dort oben war eine rote Flüssigkeit auf die Leiter getropft. Blut?

    Die Nachricht verbreitete sich in Rimmelbach und den umliegenden Ortschaften wie ein Lauffeuer. »Er hat sich erschossen – auf seinem Hochsitz«, stellte der alte Wirt des ›Löwen‹ betroffen fest. In den Herbstmonaten, wenn es frühzeitig dunkel wurde, galt der Stammtisch noch immer als beliebter Treffpunkt aller, die in dem 950-Seelen-Dorf etwas zu sagen hatten – oder dies zumindest glaubten. Der Wirt, ein knorriger Älbler, dessen von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht tiefe Falten aufwies, war für all seine Gäste nur der ›Schorsch‹ und in der ganzen Gemeinde beliebt. Was draußen zwischen Rimmelbach und Böhmenkirch am frühen Abend geschehen war, hatte er wenig später vom örtlichen Feuerwehrkommandanten erfahren. Einsatzkräfte waren gerufen worden, um die Leiche aus dem Hochsitz zu bergen. Schorsch brachte der Männerrunde ein Tablett mit Hochprozentigem. »Hier«, sagte er, »damit uns das nicht auch noch auf den Magen schlägt. Nehmt euch einen.«
    Ein halbes Dutzend fester Männerhände griff nach den Gläsern.
    »Und wir alle haben gedacht, er lebe in Saus und Braus«, meinte einer aus der Runde, während er sein Glas mit einem Schluck leerte und es aufs Tablett zurückstellte.
    »Du siehst an die Menschen halt nur ran, aber nicht rein«, kommentierte
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