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Lyonesse 2 - Die grüne Perle

Titel: Lyonesse 2 - Die grüne Perle
Autoren: Jack Vance
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her?«
    »Nur ein paar Minuten.« Melancthe hielt eine ihrer Blumen hoch. »Ist sie nicht prachtvoll? Sie bebt in der Essenz ihres Seins, beschwört etwas, das ich nicht einmal ahnen kann! Sieh nur, wie die Farben gegeneinander glühen! Und der Duft ist berauschend!«
    »Ja, mag sein.« Shimrod sprang auf. »Ich bin gleich wieder da.«
    Er verließ das Gasthaus und lief auf die Straße hinaus. Er spähte nach rechts und nach links, doch es war nirgends jemand zu sehen. Er legte den Kopf schräg und spitzte die Ohren, doch nur der Lärm aus dem Gasthaus war zu hören. Leise ging er bis Twittens Kreuzung und schaute dort nach Norden, Osten, Süden und Westen; die vier Straßen erstreckten sich von der Kreuzung aus in die Ferne, leer und fahl im Mondschein, von Bäumen feierlich gesäumt.
    Shimrod wandte sich zum Gasthof zurück. Am Straßenrand, halb im Graben, sah er ein Bündel Kleider. Shimrod näherte sich langsam und entdeckte ein großes graues Buch mit einem goldenen Stab im Rücken.
    Shimrod hielt das Buch in das Licht, das aus dem Fenster des Gasthofes fiel, und las den Titel. Dann griff er in seine Tasche und holte eine kleine Silber-locke hervor, die er mit dem Fingernagel anschlug.
    Eine Stimme ertönte. »Ich bin hier«, sagte sie.
    »Ich stehe hier neben dem Gasthof an Twittens Kreuzweg. Kurz vor mir ist Vishbume hiergewesen. Wenn der Pfahl gebebt hat, war es seinetwegen. Tamurello hat ihn gesehen und ist mit ihm hinausgegangen. Ich fürchte, Vishbume ist fort; entweder ist er tot, oder er hat sich in Luft aufgelöst. Seine Kleider und ›Twittens Almanach‹ hat er zurückgelassen; beides habe ich jetzt.«
    »Und Tamurello?«
    Shimrod hob den Blick und sah Tamurellos Haus als Silhouette vor dem Mond. »Er hat eine schwebende Festung mitgebracht; ich sehe sie jetzt am Himmel.«
    »Ich komme, aber erst morgen früh. Unterdessen sei vorsichtig! Tu nichts, was Melancthe vielleicht will, und sei es noch so unschuldig. Tamurellos Sinn ist skrupellos; er hat in Khambaste gelitten und erfährt nun, daß er nichts gewonnen hat. Er ist zu jeder Tat bereit, sei sie auch verzweifelt, unwiderruflich oder nur tragisch. Sei wachsam.«
    Shimrod kehrte in den Gasthof zurück. Melancthe war, aus welchem Grund auch immer, gegangen.
    Shimrod verspeiste sein Abendbrot und blieb eine Zeitlang sitzen, um das Waldvolk beim Schmausen zu beobachten. Schließlich ging er hinaus, begab sich zu einer nahegelegenen Lichtung und stellte dort eine winzige Hütte auf, ganz wie die, welche Vishbume in seinem Ranzen bei sich getragen hatte.
    »Haus, werde groß!« sagte Shimrod.
    Dann stellte er sich auf die Veranda.
    »Haus, werde hoch!«
    Dem Haus wuchsen Klauenfüße an allen vier Ekken, deren jeder eine Kugel umfaßte, und schließlich stand es in einer sicheren Höhe von sechzig Fuß über der Lichtung.
    Die Nacht verging, und der Morgen dämmerte über dem Wald von Tantrevalles. Als die Sonne über die Bäume stieg, kam Shimrod auf seine Veranda. »Hinunter, Haus!« rief er, und dann: »Haus, werde klein!«
    Tamurellos Burg schwebte noch immer am Himmel. Shimrod begab sich zum Gasthaus und frühstückte.
    Melancthe kam ruhig in den Gastraum, sittsam wie eine junge Schäferin aus Arkadien in ihrem knielangen weißen Kittel mit den Sandalen. Sie beachtete Shimrod nicht, sondern setzte sich in eine unauffällige Ecke, was Shimrod gerade recht war.
    Melancthe verschwendete wenig Zeit mit ihrem Frühstück. Sie verließ das Gasthaus und ging zum Anger, wo der Markt schon in vollem Gange war.
    Shimrod folgte ihr gelassen. Als sie den Markt erreicht hatte, trat er an ihre Seite. »Wonach suchst du heute?«
    »Ich habe einen ganzen Strauß Blumen in Auftrag gegeben«, erzählte Melancthe. »Diese Blüten faszinieren mich; ich bin vernarrt in sie.«
    Shimrod lachte. »Ist es nicht seltsam, daß sie einen so starken Einfluß auf dich haben? Fürchtest du nicht, einem Zauberbann zum Opfer zu fallen?«
    Melancthe warf ihm einen erschrockenen Seitenblick zu. »Was für ein Zauberbann könnte das wohl sein, wenn es nicht die Macht der reinen Schönheit ist? Sie sind meine liebsten Schätze! Ihre Farben singen für mich, und ihr Duft bringt mir Träume.«
    »Angenehme Träume, hoffe ich? Einige der Düfte sind ja bemerkenswert penetrant.«
    Melancthe schenkte ihm ein seltenes Lächeln. »Die Träume sind unterschiedlich. Etliche sind äußerst überraschend. Andere, vermute ich, überschreiten womöglich die Grenzen deiner
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