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Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 02 - Ein plötzlicher Tod

Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 02 - Ein plötzlicher Tod

Titel: Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 02 - Ein plötzlicher Tod
Autoren: Karin Wahlberg
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schließlich Arzt war. Er wollte das Bild seines starken Großvaters behalten, als sein Enkelsohn, als ein achtundzwanzigjähriger Mann, der weder wichtigtuerisch noch hartherzig, nicht einmal leichtfertig war. Dass er Arzt war, tat doch nichts zur Sache. Er mochte seinen Großvater natürlich, darum ging es nicht, aber er ertrug es nicht, ihn so zerbrechlich zu sehen: kein Fleisch mehr, keine Bewegungen, nur noch eine dünne Hülle. Würde er selbst eines Tages genauso verkümmern? Er schob den Gedanken von sich, es war noch lange hin bis zu dem Zeitpunkt, fast noch Ewigkeiten.
    Voller Ekel guckte er in seinen Becher und kippte den braunschwarzen Rest in den Ausguss, spülte die Tasse aus, goss sich stattdessen kaltes Wasser ein und kehrte mit seinen Gedanken zurück zu Johan Söderlund.
    Daniel hatte zu ihm aufgesehen und war fast kindlich beeindruckt von Johan Söderlunds Talent gewesen, auf so gut wie alles eine Antwort zu haben. Er lag immer richtig, aber meistens musste man ihm das Wissen förmlich aus der Nase ziehen. Johan Söderlund brauchte nicht zu brillieren, da doch alle wussten, dass er ein wandelndes Lexikon war, und er selbst war sich natürlich auch darüber im Klaren, dass das alle wussten. Johan Söderlund war alles andere als schüchtern oder zurückhaltend, und trotzdem konnte man ihn nicht direkt als arrogant oder überheblich bezeichnen. Er war ganz einfach eigen, und er kannte den Namen jeder noch so sonderbaren Krankheit und jedes noch so seltenen Syndroms, das es überhaupt gab.
    Manchmal hatte es Johan Söderlund gefallen eine Stichelei einzuwerfen, meistens ziemlich unerwartet und immer, um zu maßregeln. Da konnten andere Oberärzte nicht stillhalten. Es war nicht immer angenehm, eine Person im Team zu haben, deren Wissen so allumfassend war. Niemand mag es, wenn ihm auf die Finger geklopft wird. Einige Kollegen waren da empfindlicher als andere, und ein paar waren äußerst schnell beleidigt, was sogar für Außenstehende offensichtlich wurde.
    Im Allgemeinen Krankenhaus war die Stimmung geladen gewesen, wie Daniel sich erinnerte. Es wehte ein kühler Wind, und Kritik lag stets in der Luft. Vielleicht war es eine Art von Mobbing gewesen, von denen, die Johan Söderlund jedes Mal angriffen, sobald sich die Gelegenheit bot, höflich und gesittet, aber mit Nachdruck. Alle anderen unterstützten sie, indem sie dazu schwiegen und sich »um ihre Dinge kümmerten«, wie sie behaupteten. Daniel selbst war nie gemobbt worden, aber er kannte das Phänomen aus seiner Schulzeit. Der Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen war nicht groß, außer dass die Tyrannei bei Erwachsenen im Verborgenen ablief. Kein offenes Verhöhnen, eher Schüsse aus dem Hinterhalt.
    Das Unbehagen war das Gleiche, genauso wie auch die Unsicherheit. Wenn nicht noch schlimmer.
    Es gab vor einigen Jahren das Gerücht, dass man schmutzige Sachen auf Johan Söderlunds Computer gefunden hatte, sogar von Kinderpornografie war die Rede gewesen. Reines Geschwätz, vollkommen haltlose Vorwürfe – aber man konnte ja nie wissen. Nach einer Weile erstarb das Gerücht. Das war vor einigen Jahren gewesen. Wie die Zeit doch verging.
    Daniel erinnerte sich, dass es zwischen Johan und dem früheren Chef, der inzwischen in Pension gegangen war, einige Reibereien gegeben hatte. Vielleicht wegen der Thronfolge, mit der neuen Chefin, dieser hypergenauen Dame auf Pumps. Welcher normale Mensch ist schon in der Lage, einen ganzen Arbeitstag lang auf solchen Schuhen herumzutrippeln, wenn nicht eine Frau mit einem eisernen Willen, dachte er, war sich aber gleichzeitig seiner simplen Argumentation bewusst. Jedenfalls hatte sie Johan Söderlund auch nicht leiden können. Er konnte sich an keinen offenen Streit erinnern, nur an Distanz und eine generell schlechte Stimmung, als ob die beiden Luft füreinander gewesen wären.
    »Hier stecken Sie also?«, fragte die Schwester, die mürrisch ihren Kopf durch die Tür steckte. »Jetzt aber los, das Wartezimmer ist voll.«
    Er stellte seinen Becher energisch ab.
     
    Keiner hat gefragt, ob ich den Mann kenne, dachte Tomas Bengtsson. Und warum sollten sie überhaupt fragen? Es passierte vermutlich ziemlich selten, dass jemand einen ihm bekannten Menschen überfuhr.
    Er stand vor dem Polizeigebäude und wartete auf Ewa, die ihn abholen sollte. Er hatte sich noch nie zuvor in seinem Leben so hundeelend gefühlt. Er fror, ihm war übel. Die schwarze Steppjacke war bis zur Nasenspitze zugeknöpft, die
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