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Love

Love

Titel: Love
Autoren: Stephen King
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weit überschätzt, aber Sicherheit kann man nie genug bekommen. Ich habe nie vergessen, wie sicher ich mich gefühlt habe, als dieses Ding aus der Dunkelheit verschwunden war.
    »Daddys Belohnung war ein Kuss.«
    Diesmal sagte Lisey es laut, und obwohl es in dem leeren Arbeitszimmer warm war, lief es ihr erneut eiskalt über den Rücken. Sie wusste noch immer nicht, was es zu bedeuten hatte, aber sie erinnerte sich recht gut daran, wann Scott ihr erzählt hatte, Daddys Belohnung sei ein Kuss, sie sei die Erste für ihn gewesen und Sicherheit könne man nie genug bekom men: Es war kurz vor ihrer Hochzeit. Lisey hatte ihm alle Sicherheit gegeben, die sie geben konnte, aber dennoch hatte sie am Ende nicht ausgereicht. Letzten Endes hatte Scotts Ding ihn dann doch geholt – das Ding, das er manchmal flüchtig in Spiegeln und Wassergläsern gesehen hatte, das Ding mit der langen gescheckten Seite. Der Long Boy.
    Lisey sah sich sekundenlang ängstlich in dem Arbeitszim mer um und fragte sich, ob er sie jetzt gerade beobachtete.
    2 Sie schlug die U-TENN NASHVILLE 1988 REVIEW auf. Das Knacken des Buchrückens klang wie ein Pistolenschuss, sodass sie vor Überraschung aufschrie und das Buch fallen ließ. Dann lachte sie (etwas zittrig, zugegeben). »Lisey, du Dummerchen.«
    Dieses Mal fiel ein zusammengefalteter Zeitungsausschnitt heraus: vergilbt und beim Anfassen brüchig. Was sie entfalte te, war ein körniges Foto samt Bildunterschrift, auf dem ein vielleicht dreiundzwanzigjähriger Kerl zu sehen war, der we gen seines benommen schockierten Gesichtsausdrucks weit jünger wirkte. In der rechten Hand hielt er einen kurzstieligen Spaten mit silbernem Blatt. In besagtes Spatenblatt waren Wörter eingraviert, die auf dem Foto unleserlich waren, aber Lisey erinnerte sich gut an sie: ERSTER SPATENSTICH – SHIPMAN LIBRARY.
    Der junge Mann … nun … er glotzte diesen Spaten an, und nicht nur sein Gesichtsausdruck, sondern die ganze unbehol fen verrenkte Haltung seines schlaksigen Körpers verriet, dass er keine Ahnung hatte, was er tatsächlich sah. Es hätte eine Artilleriegranate, ein Bonsaibäumchen, ein Strahlenspürgerät oder ein Sparschwein aus Porzellan sein können; oder auch ein Wang-Dang-Doodle, ein Talisman, der von der Unver gänglichkeit der Liebe zeugte, oder ein Glockenhut aus Kojo tenfell. Es hätte der Penis des griechischen Dichters Pindar sein können. Dieser Kerl war zu weggetreten, um es zu wis sen. Ebenso wenig, darauf hätte sie wetten können, war ihm bewusst, dass seine linke Hand von einem ebenfalls für immer in schwarzen Rasterpunkten festgehaltenen Mann umklam mert wurde, der in einer Art Motor-Highway-Patrol-Kostüm steckte: ohne Waffe, aber mit einem schräg über die Brust laufenden Schulterriemen und etwas, was Scott lachend und mit gespielt großen Augen als »schaurig rihiesige Mundöff nung« bezeichnet hätte. Und auf seinem Gesicht stand ein schaurig rihiesiges Grinsen, ein erleichtertes Lieber-Gott-ich danke-dir-Grinsen, das besagte: Mein Junge, solange ich noch ein paar Dollar in der Tasche habe, wirst du in keiner Bar, in der zufällig auch ich bin, jemals für einen Drink bezah len müssen. Im Hintergrund konnte sie Dashmiel sehen, den eingebildeten Südstaatler, der davongerannt war. Roger C.
    Dashmiel, das fiel ihr jetzt ein; das große C. stand für Chi ckenshit.
    Hatte sie, die kleine Lisey Landon, gesehen, wie der glück liche Campus-Sicherheitsbeamte dem benommenen jungen Mann die Hand geschüttelt hatte? Nein, aber … das heißt …
    Sa-aach mal, Schätzchen … schön aufgepasst … willst du, dass ein Bild aus dem richtigen Leben solchen Märchenvisio nen entspricht, in denen Alice in ihr Kaninchenloch fällt oder eine Kröte mit Zylinder ein Cabrio fährt? Dann sieh dir das hier an, am rechten Bildrand, ganz außen.
    Lisey beugte sich tiefer, bis ihre Nasespitze fast das vergilb te Foto aus dem Nashville American berührte. In der breiten Mittelschublade von Scotts Hauptschreibtisch lag ein Ver größerungsglas. Sie hatte es schon bei vielen Gelegenheiten dort liegen sehen: immer an seinem Platz zwischen der weltältesten ungeöffneten Packung Herbert-Tareyton-Zigaretten und dem weltältesten Rabattmarkenheft mit nicht eingelösten S&H Green Stamps. Sie hätte es holen können, sparte sich jedoch die Mühe. Sie brauchte keine Vergrößerung, um sich bestätigen zu lassen, was sie sah: einen halben braunen Mo kassin. Tatsächlich einen halben Mokassin aus Korduanleder mit
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