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Limonow (German Edition)

Limonow (German Edition)

Titel: Limonow (German Edition)
Autoren: Emmanuel Carrère
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tiefe Sofas, die Rufe von Enkelkindern draußen, Beerenkonfitüren und lange Gespräche in Liegestühlen. Die Schatten würden länger werden und der Tod sich sanft nähern. Das Leben würde ein gutes gewesen sein, weil wir uns geliebt haben. So wird es vielleicht nicht enden, aber so würde ich mir wünschen, dass es endete.
    Auf der Rückfahrt frage ich ihn: »Und, sehen Sie sich in diesem Haus alt werden, Eduard? Sehen Sie sich als Turgenjewscher Held enden?«
    Die Frage bringt ihn zum Lachen, doch diesmal ist es kein kurzes, trockenes, sondern ein herzliches Lachen. Nein, er sieht sich nicht an diesem Ort. Wirklich nicht. Rente und ein ruhiges Leben, das ist nichts für ihn. Er hat eine andere Idee für seine alten Tage.
    »Kennen Sie Zentralasien?«
    Nein, ich kenne es nicht, ich bin nie dort gewesen. Aber sehr früh habe ich Fotos davon gesehen: die meiner Mutter, als sie auf diese lange Reise gegangen war, während der sich mein Vater mit ungeschickter Zärtlichkeit um mich kümmerte – damals waren Väter es nicht gewohnt, sich um kleine Kinder zu kümmern. Diese Fotos nahmen mir den Atem und brachten mich zum Träumen. Sie stellten für mich die absolute Ferne dar.
    In Zentralasien, fährt Eduard fort, fühlt er sich am wohlsten auf der Welt. In Städten wie Samarkand oder Barnaul. Von der Sonne niedergedrückten, staubigen, langsamen, harten Städten. Im Schatten der Moscheen dort, unter hohen, zinnenbesetzten Mauern, sitzen Bettler. Ganze Trauben von Bettlern. Es sind alte, ausgemergelte, gegerbte, zahnlose und oft auch augenlose Männer. Sie tragen eine Tunika und einen Turban, der schwarz ist vor Dreck; sie haben ein Stückchen Samt vor sich liegen und warten, dass man ihnen kleine Münzen darauf legt, und wenn man ihnen welche hinwirft, bedanken sie sich nicht. Man weiß nicht, wie ihr Leben ausgesehen hat, aber man weiß, dass sie in einem Sammelgrab enden werden. Sie haben kein Alter mehr und keinen Besitz, sofern sie je welchen hatten, es bleibt ihnen kaum noch ihr Name. Sie haben alle Leinen gelöst. Es sind Wracks. Es sind Könige.
    Das ja, das würde ihm gefallen.
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