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Lilith Parker: Insel Der Schatten

Lilith Parker: Insel Der Schatten

Titel: Lilith Parker: Insel Der Schatten
Autoren: Janine Wilk
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kleine Handschrift entziffern zu können. Zu Liliths Erstaunen gelang es ihrer Tante scheinbar mühelos. Allerdings schien sie über seinen Inhalt nicht gerade erfreut zu sein. Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend beobachtete Lilith, wie sich die Augenbrauen ihrer Tante immer mehr zusammenzogen. Stellenweise stieß sie sogar ein ärgerliches Schnauben aus. Schließlich faltete Mildred den Brief achtlos zusammen und stopfte ihn unwillig in ihre Jackentasche.
    »Los, gehen wir!«, fuhr sie Lilith an.
    Sie sah ihrer Tante verständnislos hinterher, während diese zu einer einspännigen, nicht überdachten Kutsche stapfte, die am Rand der Straße abgestellt war.
    Hatte ihr Vater seiner Schwester etwa geschrieben, dass Lilith chronisch faul war, als einziges Hobby in der Nase popelte und am liebsten Familienangehörige bestahl? Wobei Letzteres, wie Lilith sich schuldbewusst eingestehen musste, sogar zutraf. Denn obwohl es ihr nicht gelungen war, etwas über das Amulett ihrer Mutter herauszufinden, hatte sie sich nicht überwinden können, es zurück in den Tresor ihres Vaters zu legen. Sie hätte auch gar keine Möglichkeit dazu gehabt. In den Tagen vor seiner Abreise hatte sich ihr Vater Tag und Nacht in seinem Arbeitszimmer verbarrikadiert, um wichtige Daten zu sammeln, Unterlagen zu ordnen und Bücher einzupacken. Wenn er sein Arbeitszimmer doch einmal verließ, hatte Lilith den Tresor jedes Mal verschlossen vorgefunden. Sie redete sich ein, dass sie das Amulett ansonsten sofort wieder zurückgelegt hätte. Nun war es zu spät. Ihr Vater war schon bald auf dem Weg nach Burma und sie bei ihrer Tante, die ihr mehr als ein Rätsel aufgab. Für einen tröstenden Moment glitt Liliths Hand über das Amulett, dann folgte sie Mildred.

    »Ich soll Sie mitnehmen«, informierte diese gerade Eleanor und Matt. »Der Eigentümer hat den Schlüssel stecken lassen.«
    »Das geht hier?«, wunderte sich Eleanor. »Muss man hier keine Angst vor Einbrechern haben?«
    »Wahrscheinlich will niemand außer uns in diese hässliche Bruchbude, die du gekauft hast«, stänkerte Matt.
    Sie luden ihr Gepäck auf die Rückbank der schon in die Jahre gekommenen Holzkutsche, die von einem müde aussehenden Pferd gezogen wurde. Ihrer Tante musste Liliths Verblüffung aufgefallen sein, denn sie erklärte ihr, dass in Bonesdale Autos verboten waren. Kutschen und Fahrräder waren die einzig erlaubten Fortbewegungsmittel auf der Insel, obgleich selbst Fahrradfahren während der Touristenzeit auf der Hauptstraße nicht gern gesehen war. Man wollte das Gruselambiente gewahrt wissen.
    Da wegen des Gepäcks im hinteren Teil der Kutsche nur noch Platz für Matt und Eleanor war, musste Lilith neben ihrer Tante auf dem schmalen Kutschbock Platz nehmen. Auch wenn Mildred sie schon bei ihrer Ankunft nicht gerade überschwänglich begrüßt hatte, so war es doch offensichtlich, dass sie sich seit Josephs Brief Lilith gegenüber ausgesprochen kühl und abweisend verhielt.

    Schweigend saßen sie nebeneinander und ratterten die Hauptstraße entlang, die ein verwittertes Straßenschild als Devilstreet auswies. Die gusseisernen Laternen standen in so großen Abständen zueinander, dass sich zwischen ihnen die Dunkelheit zu einer schwarzen Mauer verdichtete und man als Ortsfremder ohne Taschenlampe nur ziellos umherstolpern konnte. Von der Hauptstraße zweigten unzählige schmale Gassen ab, die jedoch allesamt unbeleuchtet waren, sodass die dahinterliegenden Häuser ihren Augen verborgen blieben.
    Nur hier und da sah man eine Gestalt durch die Finsternis huschen. So konnte Lilith mal den vorbeieilenden Schemen einer humpelnden, verkrüppelt wirkenden Gestalt wahrnehmen und ein anderes Mal den Schatten eines aufrecht gehenden haarigen Wesens mit krallenbewehrten Händen. Doch ehe Lilith Genaueres erkennen konnte, waren sie schon von der Dunkelheit verschluckt worden.
    Obwohl sie sich immer weiter vom Hafen entfernten, waberten auch hier die Nebelfetzen durch die Gassen, tasteten sich mal hierhin und mal dorthin, als ob sie auf der Suche nach etwas seien.
    »Sind hier überall Nebelmaschinen angebracht?«, fragte Lilith neugierig.
    »Nein, nur am Hafen, damit die Touristen gleich bei der Ankunft einen schönen Schreck bekommen.« Mildred machte eine Kopfbewegung in Richtung der Dunstschwaden. »Der Nebel hier ist echt. Kommt vom Kindermoor.«
    »Kindermoor?«, hakte Eleanor nach.
    »Es wird so genannt, weil seit Jahrhunderten dort immer wieder Kinder
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