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Lieblingsmomente: Roman

Lieblingsmomente: Roman

Titel: Lieblingsmomente: Roman
Autoren: Adriana Popescu
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allein wegen der Käfer und der Schmetterlinge. Ach ja, und wegen Oliver. Tristan weiß nicht, dass ich in einer Beziehung bin. Vielleicht sollte ich ihm das zuallererst schreiben, aber wie kommt das dann rüber? »Lieber Tristan, ich habe einen Freund.« Vermutlich will er einfach nur nett sein. Oder? Ich schaue ratlos auf die vielen geöffneten Fenster auf meinem Monitor. Eigentlich habe ich mit dieser ganzen Geschichte doch schon abgeschlossen, sie als schöne Schwärmerei abgetan. Zwar habe ich noch einige Male an ihn gedacht, aber dann war das auch schnell wieder verschwunden. Nur die Fotos von ihm auf meinem Rechner erinnern noch an diesen kurzen, schönen Moment, als er mich mit einem zugekniffenen Auge angelächelt hat – nachdem ich ihm mit einem Schnaps die Platzwunde abgetupft habe. Ich muss wieder grinsen. Schade, dass ich davon kein Foto habe. Andererseits ist das vielleicht auch besser so.
    Ich habe Oliver gestern meine Bilder von Samstag gezeigt, und er hat sie wie immer sehr kritisch bewertet. Von den knapp vierhundert Bildern hatte ich ungefähr dreißig zur Auswahl, die mir richtig gut gefallen haben, aber von ihm kamen dazu nur wenige positive Kommentare. Er ist einfach so. Er ist sehr schnell sehr streng und sagt lieber die ungeschminkte Wahrheit, als mir etwas in Zuckerwasser eingelegt verkaufen zu wollen. Auch wenn es sich manchmal so anfühlt, als nehme er meine Bilder und meine kleine Firma – auf die ich übrigens sehr stolz bin – nicht wirklich ernst, weiß ich doch, dass er es nicht böse oder verletzend meint. Er will, dass ich mich immer weiterentwickle, mich nicht auf meinen Lorbeeren ausruhe. Er will nur das Beste für mich. Wissentlich würde er nie etwas tun, was mich verletzten kann. Im Gegenzug würde ich nie etwas tun, was ihn verletzt.
    Deswegen sollte ich diese E-Mail einfach in den Spam-Ordner schieben und dort verenden lassen. Das sollte ich. Wirklich. Nicht. Stattdessen schließe ich das Fenster und kümmere mich um die Fotos – beziehungsweise die paar Bilder, die nach Olivers Kritik noch übrig geblieben sind. Wenn alles gut ist und ich mit der Bearbeitung heute schnell durchkomme, dann kann ich vielleicht schon CDs mit der vorläufigen Auswahl per Fahrradkurier an den Veranstalter schicken und mich dann um den nächsten Auftrag kümmern. Arbeit ist eine gute Alternative zum Nachdenken, stelle ich fest, und so klicke ich mich durch die Fotos, setze gezielt ein paar Fotofilter oder Farbkorrekturen an und schaffe in Rekordgeschwindigkeit einen ganzen Stapel an Arbeiten.
    Als ich vor lauter Pixel kaum noch scharf sehe, entscheide ich mich für eine kleine Pause, die ich mir als meine eigene Chefin genehmigen kann, wann ich will, und für ein Mittagessen außer Haus. Ich esse ungern alleine und entscheide mich deshalb spontan dazu, Beccie mal anzurufen. Sie sollte eigentlich zu einem kleinen Happen in der Sonne zu überreden sein und nimmt für gewöhnlich jede Ablenkung von ihrem Studium dankend an. Vor allem in den Semesterferien. Sie sitzt seit Wochen an ihrer Hausarbeit über Massenmedien und einen gewissen Herrn Luhmann, der ziemlich kompliziert zu sein scheint und den sie lieber heute als morgen abservieren würde. Und so werde ich auch heute nicht enttäuscht. Wir verabreden uns in einer Viertelstunde in unserem Lieblingsrestaurant am Wilhelmsplatz. Das Meals & More ist ab zwölf Uhr mittags genau das, was mein hungriger Magen verlangt.
    Der große Vorteil, wenn man im Stadtzentrum arbeitet? Man verlässt schnell das Büro, stolpert, fällt einmal hin, steht auf – und ist schon da. Heute schlendere ich aber etwas langsamer und bin nicht ganz so in Eile, wie die meisten anderen Menschen, die ich auf dem Weg zu ihrem Mittagessen antreffe. Im Sommer verwandelt sich Stuttgart in eine Stadt ohne Gehwege. Überall werden Tische und Stühle vor die Restaurants gestellt, und lässig dasitzende Gäste mit Sonnenbrille genießen schwäbische Küche, ein kühles Bier oder einen Wein aus der Region. Die Landeshauptstadt Baden-Württembergs – oft unterschätzt und doch geliebt. Für mich ist Stuttgart im Sommer mindestens so schön wie die Toskana. Es gibt keine Stadt, in der ich mich so wohlfühle wie hier, auch wenn im Sommer die Luft im Stuttgarter Westen zu stehen scheint und ich mir eine kühle Meeresbrise wünsche. Ich habe hier alles, was ich brauche, um mich wohlzufühlen.
    Deswegen kann ich die Leute nicht ganz verstehen, die jetzt mit gehetzten Gesichtern in
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