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Lieber Feind

Lieber Feind

Titel: Lieber Feind
Autoren: Jean Webster
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egoistisch und selbstsüchtig bin; ich sollte eigentlich an das gebrochene Herz des armen Gordon denken. Aber es wäre wirklich nur eine Pose, wollte ich vorgeben, ich sei sehr traurig. Er wird eine andere finden, die genau so auffallendes Haar hat wie ich, die eine genau so eindrucksvolle Gastgeberin sein wird, und die nicht mit diesen verdammten Ideen über Dienst an der Gesellschaft und die Mission der Frau und all dem anderen Quatsch, dem sich die moderne Frauengeneration hingibt, belastet sein wird. (Ich umschreibe und mildere die Äußerungen unseres jungen Mannes mit dem gebrochenen Herzen.)
    Lebt wohl, liebe Leute. Wie ich mir wünsche, daß ich mit Euch auf dem Strand stehen und übers blaue Meer blicken könnte! Ich grüße die Gefilde Spaniens.
    Addio!
    Sallie.

27. Januar.
    Lieber Dr. MacRae!
    Ich bin gespannt, ob dieses Schreiben das Glück haben wird, Sie wach anzutreffen. Vielleicht ist es Ihnen bekannt, daß ich viermal Besuch machen wollte, um in meinem besten Krankenbettstil Dank und Tröstung anzubieten. Ich bin gerührt über den Bericht, daß Mrs. McGurks Zeit vollkommen davon in Anspruch genommen ist, Blumen, Gelee und Hühnerbrühe entgegenzunehmen, welche die anbetenden Damen der Gemeinde dem ungnädigen Helden im Gipsverband darboten. Ich weiß, daß Ihnen eine Mütze aus Handgewobenem lieber ist als ein Heiligenschein, aber ich finde wirklich, daß Sie mich in einem anderen Licht sehen könnten als die in Frage stehenden hysterischen Damen. Sie und ich waren früher Freunde (mit Unterbrechungen), und obwohl es in unserem bisherigen Umgang ein oder zwei Einzelheiten gibt, die besser ausgelöscht wären, so sehe ich doch nicht ein, warum sie unsere ganze Beziehung über den Haufen werfen sollten. Können wir nicht vernünftig sein und sie auslöschen?
    Das Feuer hat soviel unerwartete Güte und Hilfsbereitschaft hervorgebracht; ich wollte, es könnte ein wenig aus Ihnen herausholen. Bedenken Sie, Sandy, daß ich Sie gut kenne. Sie mögen vor der Welt die Pose des groben, kurz angebundenen, unfreundlichen, wissenschaftlichen, unmenschlichen SCHOTTEN annehmen, aber mich können Sie nicht hinters Licht führen. Mein neu geschultes psychologisches Auge hat zehn Monate lang auf Ihnen geruht, und ich habe das Binet-Verfahren angewendet. Sie sind in Wirklichkeit gut, freundlich, weise, verzeihend und groß, also seien Sie bitte das nächste Mal, wenn ich Sie besuchen komme, zu Hause, und wir werden an der Zeit einen chirurgischen Eingriff vornehmen und fünf Monate amputieren.
    Erinnern Sie sich an den Sonntagnachmittag, als wir durchbrannten, und wie vergnügt wir waren? Heute ist der Tag danach.

    Sallie McBride.

    PS. Wenn ich mich herablasse, Sie noch einmal zu besuchen, dann lassen Sie sich bitte herab, mich zu sehen; denn ich versichere Ihnen: noch einmal versuche ich es nicht! Ich versichere Ihnen desgleichen, daß ich keine Tränen über Ihrer Steppdecke vergießen noch versuchen werde, Ihre Hand zu küssen, wie es eine bewundernde Dame getan haben soll.

    Das John-Grier-Heim.
    Donnerstag.
    Lieber Feind!
    Sie sehen, daß meine Gefühle für Sie im Augenblick sehr freundschaftlich sind. Wenn ich Sie MacRae nenne, mag ich Sie nicht, wenn ich Sie Feind nenne, aber wohl. Sadie Kate hat Ihr Briefchen überbracht (fällt mir eben ein). Für einen linkshändigen Mann ist es eine sehr ordentliche Leistung; auf den ersten Blick glaubte ich, es sei von Punch.
    Sie dürfen mich morgen um vier Uhr erwarten; und passen Sie auf, daß Sie auch wach sind! Ich bin froh, daß Sie glauben, wir seien Freunde. Es kommt mir wirklich vor, als hätte ich etwas Kostbares zurückerhalten, das ich leichtfertig verlegt hatte.
    S. McB.

    PS. Java hat sich in der Nacht des Feuers erkältet und leidet unter Zahnweh. Er sitzt da und hält seine Backe wie ein armes, kleines Kind.

    Donnerstag, 29. Januar.
    Liebe Judy!
    Das müssen fürchterlich zusammenhanglose Seiten gewesen sein, die ich letzte Woche an Dich hingeschmiert habe. Hast Du meinen Befehl, den Brief zu vernichten, respektiert? Ich möchte nicht, daß er in meinen gesammelten Briefen erscheint. Ich weiß, daß mein Gemütszustand schändlich, unpassend, skandalös ist, aber man kann wirklich nichts für »eine Gefühle. Gewöhnlich gilt es als angenehmer
    Gefühlszustand, verlobt zu sein, aber, o je, es ist nichts gegen das herrliche, unbändige, freudige, freie Gefühl, entlobt zu sein! Ich hatte während der letzten Monate ein furchtbar unstabiles Gefühl, und
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