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Liebe unter Fischen

Liebe unter Fischen

Titel: Liebe unter Fischen
Autoren: Rene Freund
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schwiegen nicht im Walde. Und auch er dachte nicht daran, zu schweigen. Am nächsten Tag würde er sich irgendwie in die Zivilisation durchschlagen. Jetzt war es dafür zu spät. Er zündete sich die letzte Zigarette an und warf die Packung in den See. Im Nachhinein tat es ihm leid, die Packung mit der Zellophanschicht achtlos ins Wasser geworfen zu haben. Jeder Mensch verrottete schneller als Plastik, hatte er mal gelesen. Am schlimmsten war Silikon. Historiker künftiger Zivilisationen werden dereinst staunen, was sie als Grabbeigaben des ausgestorbenen homo sapiens finden würden: glibberige Plastikkugeln.
    Fred beobachtete, wie ein Schwarm kleiner Fische von seiner davontreibenden Zigarettenpackung angezogen wurde. Die Fischchen versuchten, das seltsame Ding anzuknabbern, scheiterten aber offensichtlich an der dünnen Verpackungsschicht.
    Fred ging in die Hütte und inspizierte den Ofen. Zwar hatte der Sonnenschein die Holzwände angenehm erwärmt, doch in der klaren Luft drohte die Nacht kalt zu werden. Bei aufmerksamer Betrachtung des sehr einfach gebauten Tischherdes bemerkte Fred, dass er in seiner morgendlichen Verstörung die Klappe für den Rauchabzug komplett geschlossen hatte. Er machte das rückgängig, ging hinter die Hütte, hackte sich ein paar Späne zurecht und holte einen Korb voll Holz.
    Das Feuer brannte wunderbar an diesem Abend. Fred lauschte dessen Knistern, während er Ziegenkäse, Fladenbrot und Oliven verspeiste und dazu eine Flasche Wein trank.
    Nach dem Essen machte er eine schreckliche Entdeckung.

29 . Juni

    Sehr geehrte Verlegerin,
    ich schreibe Ihnen auf einem vergilbten Papierblock, den ich in der Baracke gefunden habe, in welche mich zu verbannen Ihnen aus Gründen, die zu erforschen ich nicht in der Lage bin, gefallen hat. Ich weiß nicht, ob Sie diesen Brief jemals erhalten werden, denn ich weiß nicht, ob ich diesen ungastlichen Ort lebend verlassen werde. Jetzt werden Sie sich wahrscheinlich mit der Ihnen eigenen unbestechlichen Logik fragen, warum ich Ihnen überhaupt schreibe. Die Antwort ist einfach: Schreiben ist meine Art zu denken. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen, es sei denn, auf Papier. Wobei ich festhalten will: Schlagen Sie sich die Hoffnung auf Gedichte gleich aus dem Kopf. Was ich hier vorbringe, ist keine Geschichte, sind keine Gedichte, das ist – allenfalls – ein Beschwerdebrief.
    Schwere Regenfälle haben die Straße, die zur Hütte führt, weggespült. Mein Handy liegt am Grund des Sees, wo es wahrscheinlich auch keinen Empfang gibt. Ein unpassierbarer Abgrund und 16 , 4 Kilometer trennen mich von der » Zivilisation«. Ich fühle mich bemüßigt, nein, verpflichtet, das Wort unter Anführungszeichen zu setzen, denn der Gasthof zur Gams weist außer fließend Wasser und Strom kein anderes Kennzeichen jener Standards auf, die wir in der freien westlichen Welt unter dem Sammelbegriff » Zivilisation« zu subsumieren übereingekommen sind. Wie auch immer, im Gasthof zur Gams könnte ich auf humanoide Wesen treffen, die, wenn auch in einer fremdartig klingenden Sprache, mit mir zu kommunizieren in der Lage wären. Auf Wesen, die mir eventuell sogar ein Telefon zur Verfügung stellen würden, mit dessen Hilfe ich ein Taxi rufen könnte, das mich wieder nach Berlin bringt. Keine Sorge, die Rechnung würde ich Ihnen schicken. Auch jene für die Bergung meines Mercedes Benz 200 Automatik Baujahr 1976 aus akuter Bergnot. Das Fahrzeug befindet sich in einem tadellosen Zustand. Ich habe es heute übrigens geputzt. Ja, geputzt. Sie werden sich vielleicht denken, es passt nicht zu mir, es passt vielleicht überhaupt nicht zu einem Dichter, ein Auto zu putzen. Ich kann Ihnen nur zustimmen. Die Tatsache, dass ich heute mit einem Eimer zwischen See und Auto hin- und hergelaufen bin, um die dicke Schlammkruste vom ansonsten noch makellosen Lack zu waschen, vermittelt Ihnen vielleicht eine Ahnung vom Ausmaß meiner Verzwei fl ung.
    Wenn dieser Brief in Ihre Hände gelangt, liege ich höchstwahrscheinlich zerschmettert auf einem Felsen, die Arme weit ausgebreitet, die Augen starr in die Unendlichkeit gerichtet. Das Blut aus meinem Schädel wird eingetrocknet und schwarz an einem Stein kleben. Möglicherweise werden Tiere meinen Leichnam angeknabbert haben. Es soll niemand sagen, meine Existenz wäre für nichts gut gewesen, nein, aus meiner Hand oder vielmehr mit meiner Hand könnte sich ein Marder den Bauch voll schlagen. Meine Waden hat sich vielleicht ein Fuchs
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