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Leuchtendes Land

Titel: Leuchtendes Land
Autoren: Patricia Shaw
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wenn es alle mitbekommen hätten. Dennoch, Mr. Gunne, geht es ihr besser. Mr. Conway hat wie ein Beichtvater mit ihr gesprochen, und sie hat darauf reagiert. Sie musste sich einmal alles vom Herzen reden, nicht wegen der Verhandlung, sondern um wieder Halt in sich selbst zu finden. Ich bin der Überzeugung, dass es nicht so weit gekommen wäre, wenn Mrs. Price schon früher einen Gesprächspartner wie Maurice Conway gehabt hätte.«
    Sie kehrten ins Gericht zurück, doch die Geschworenen berieten sich immer noch.
    »Warum brauchen sie so lange?«, jammerte Clem. »Sie sind schon den ganzen Tag dort drinnen. Weshalb fällt ihnen die Entscheidung so schwer?«
    »Solange sie diskutieren, ist noch nichts verloren. Komm, ich lade dich auf einen Drink ein.«
    Bedrückt standen sie in einer ruhigen Bar und betrachteten die Bilder, die über den Flaschen an der Wand hingen. Prächtige Yachten waren darauf zu sehen.
    »Wie geht es Alice?«, wollte Clem wissen.
    »Sie ist missgelaunt«, antwortete George.
    »Das kann ich mir vorstellen.«
    »Du hast dort drinnen ganz schöne Prügel bezogen.«
    Clem nickte. »Ja. Aber was soll’s! Es stört mich nicht mehr. Hauptsache, Thora steht es durch.«
    »Sieht ganz danach aus.«
    »Wir werden sehen. Gehen wir zurück ins Gericht? Ich halte diese Warterei nicht länger aus.«
     
    Am folgenden Nachmittag kehrten die Geschworenen in den vollgepfropften Saal zurück.
    George war so nervös, dass er die Einleitungsrede kaum wahrnahm. Clem war draußen geblieben. Ihm war schlecht, und er wagte sich nicht einmal in die Nähe der Tür. An Conways Verhalten hatte sich nichts geändert. Er verfolgte das Geschehen, als stünde er über allem, während Forbes neben ihm unruhig auf seinem Stuhl herumrutschte. Mrs. Cornish hatte einen Platz hinten im Saal gefunden. Reporter drängten sich in der Nähe der Tür, um nach der Urteilsverkündung auf dem schnellsten Weg zum Telegrafenamt spurten zu können. Alice hatte sich natürlich geweigert zu kommen, und auch die Cartys ließen sich nicht blicken. Netta, die junge Nanny, stand zwischen den Reportern und schaute zu Thora hinauf.
    Als der Richter den Sprecher der Geschworenen um deren Urteil bat, sah George unwillkürlich zu Thora hinüber. Sie trug ein elegantes blaues Kostüm im Marinestil. Ihr Haar, das in dem durch ein Fenster hereinfallenden Licht wunderbar glänzte, war zu einer modernen, dicken Rolle eingeschlagen. Sie war blaß, wirkte aber gefasst, als würde sie über den Dingen stehen. George war froh, dass sie aufgrund dieses letzten öffentlichen Auftritts den Leuten als anmutige, elegante Frau in Erinnerung bleiben würde. Ihre Augen suchten den Saal nach Clem ab. George lächelte ihr aufmunternd zu, bezweifelte aber, dass sie ihn sehen konnte, denn plötzlich brach ein Tumult los.
    »Was? Was?«, fragte George verwirrt. Er hatte den Urteilsspruch verpasst!
    »Nicht schuldig!«, riefen mehrere Leute. Die Menschen sprangen von den Stühlen auf. Rannten zur Tür. Zwei in Schwarz gekleidete Frauen jubelten und schwenkten ihre Sonnenschirme. »Eine verdammte Schande!«, schrie eine Männerstimme, doch der Mann neben George murmelte: »Gut so. Sie hat es schwer gehabt.« Der Richter hämmerte auf sein Pult. George konnte es einfach nicht fassen. Die Leute kletterten über ihn hinweg zum Ausgang, als sei ein Feuer ausgebrochen.
    Dann sah er, wie Conway mit ausgestreckten Händen auf Thora zuging.

[home]
    15. Kapitel
    U nd so wurde Thora entlassen. Als der Prozess vorüber war, überkam Lil eine Traurigkeit, deren Ausmaß sie selbst überraschte. Niemals hätte sie sich träumen lassen, dass Thora Price ihr einmal leidtun würde, doch nach ihrem eigenen kurzen Auftritt vor Gericht konnte sie nachfühlen, welche Tortur Thora durchgestanden hatte. Vor allem, als in aller Öffentlichkeit schmutzige Wäsche gewaschen und von den Zeitungen alles wiedergekäut wurde. Letztendlich war sie froh, dass auch die Geschworenen Mitleid bewiesen hatten.
    An ihrer Situation änderte es jedoch nichts.
    »Ich will mein Kind zurück«, sagte sie zu sich, »und nun ist der Augenblick dafür gekommen.«
    Zwar hatte sie Gewissensbisse, weil Thora unter dem Verlust von Lydia leiden würde, doch den Gedanken daran verdrängte sie. Das Gerichtsurteil bewahrte Thora lediglich vor dem Gefängnis oder der Irrenanstalt. Der Skandal, den sie verursacht hatte, würde ihr für immer anhängen, sie war verschrien und außerdem geistig gestört. Niemand hatte sie als
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