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Lesereise - Inseln des Nordens

Lesereise - Inseln des Nordens

Titel: Lesereise - Inseln des Nordens
Autoren: Barbara Schaefer , Rasso Knoller
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tiefschwarzer Himmel hängt über dem Fjord, als kündete er von einem Unwetter. Doch er ist das Zeichen für offenes Wasser. Bleigraudunkel liegt der Fjord da, der Winter war viel zu warm, noch immer ist isfjorden , der Eisfjord, nicht zugefroren, die schwarzgrauen Wasser spiegeln sich in den Wolken.
Bente Reines
    Bente ist die große Schwester. Die große Schwester von allen. Die Studentin ist eine jener Frauen, die jede Arbeit sieht und wegschafft. »Die Urlauber, die hierherkommen und einen Tag mit dem Schlitten rausfahren, die tun mir leid«, sagt Bente. Nicht, weil es kalt wäre, sondern weil es langweilig ist. Man müsse mit Hunden arbeiten, sie füttern, sie trainieren, überhaupt müsse man sich aktiv beteiligen, sagt sie, um so einen Aufenthalt auf Spitzbergen genießen zu können. Von allen Arbeiten, die die Studenten erledigen sollen, gibt es nur eine, die ausgelost wird: Latrine leeren.
    Am späten Vormittag beginnt die Tour auf den Scott-Turner-Gletscher, dort werden die Studenten übernachten. Sie spannen je fünf Tiere als Teams vor die Schlitten, Bente ist mal wieder als eine der Ersten fertig, sie hilft anderen dabei, die richtigen Hunde zu finden. Im Zwinger beginnt ein unglaublicher Lärm, als würden Höllenhunde verzweifelt eine Göttin beschützen wollen. Der erste Schlitten startet, ein Inferno bricht los. Die Begierde der Hunde, loszuspurten, diese frenetische Lust zu laufen, ist unvergleichlich. Wenige Hundert Meter hinter den Hütten verebbt der Wahnsinn. Die Gespanne laufen in gleichmäßigem Tempo, nun hat man auf dem Schlitten Muße, die Landschaft zu betrachten. Eine Einheimische fährt an der Spitze, über dem Rücken hängt ihr Gewehr. Man gewöhnt sich an diesen Anblick. Im blauesten Licht weitet sich das Tal, an den verblasenen Hängen drückt schwarzes Gestein durch eine dünne Schneeschicht, ein halber Mond steht am Himmel, wirft gelbliches Licht auf die Flanken.
    Abends im Zelt erzählt Bente von einer anderen Tour, in Norwegen, bei schrecklichem Blizzard verloren sie einen Hund, ein anderes Mal brach ein Schlitten ein im gefrorenen See. Existenzielle Zustände hätten sie durchlebt. Doch in solchen Situationen, und auch noch danach, erfülle einen das gute Gefühl, absolut im Augenblick zu leben. Das empfinde sie nun auf Spitzbergen erneut. Wenn man nicht in einem der skandinavisch bunten Holzhäuser in Longyearbyen wohne, sondern draußen lebe, der Natur in einem Maße ausgesetzt, wie es gemäßigte Zonen nicht vermitteln können, fühle man sich eins mit sich selbst.
Priita Pöyhtäri Trøen
    »Und dann kam ich ins Paradies«, sagt Priita, als das nächste Dia den Raum erhellt. Was Priita als ihr Paradies bezeichnet, würden andere eine öde Küste in einem kargen Landstrich nennen: Ein Fjord, der sich nach Norden öffnet, Berge, die aus Gletschern ragen, ein flacher kiesiger Strand, an dem eine schäbige Hütte steht, erbaut 1935.
    Priita begleitet Hundeschlittentouren auf Spitzbergen, für die Studenten hält sie am Abend zuvor einen Diavortrag. Der Projektor steht in einer Holzhütte neben der Gamme auf einer Tischdecke aus seidig glänzendem Seehundsfell, Petroleumlampen hängen an den Wänden, eine kleine norwegische Flagge steht im Fenster. Überwinterung heißt Priitas Geschichte, es ist das Zauberwort aller Arktis-Besessenen. Es bedeutet: Die Finnin hat einen Winter in einer ehemaligen Trapperhütte verbracht, weit nördlich von Longyearbyen, nur im Notfall – und dann bei passablem Wetter – per Helikopter zu erreichen.
    Und das kam so: In Lappland arbeitete die Biologin mit Schlittenhunden, sie reiste eines Sommers nach Spitzbergen, »und es gefiel mir gleich viel zu gut«. So als wäre Lappland einfach nicht nördlich genug, so wie einem vielleicht Südtirol noch nicht passend dünkt, wenn man für Italien schwärmt. Im Lokalblatt las sie die Anzeige eines norwegischen Trappers, er suche eine Begleitung für eine Überwinterung. Sie traf sich mit ihm zum Abendessen, zwei-, dreimal. »Ich habe auch gesehen, wie er mit seinen Hunden arbeitet. Da wusste ich, es wird gehen.« Ein Leben in Longyearbyen erschien ihr nicht attraktiv. Die Menschen hier machen einen außerordentlich beschäftigten Eindruck. Es gibt unzählige Vereine für die achtzehnhundert Bewohner, für jedes Hobby einen Klub, alle haben immer etwas zu tun, schon schaffen sie den eigenen Haushalt nicht mehr und beschäftigen Thai-Frauen fürs Putzen. Sie müssen ja Sprachen lernen, Sport treiben oder
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