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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried
Autoren: Exerzierplatz
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an. Auf die Schaufel, komm, geh endlich auf die Schaufel, siehst du, und jetzt sitzenbleiben, ruhig, ruhig, und nicht springen, gleich bist du draußen und kannst dich unterm Rhododendron verstecken, unter den toten Blättern.
    In den Drahtkorb, da müssen die Keime hinein, ganz schön ausgeschlagen sind unsere Kartoffeln, wie versteifte, weißliche Würmer fühlen sich die Keime an, glasige Würmer, die violett aufschimmern im Licht. Kellerblaß, kellerfeucht. Obwohl sie für Trockenheit sorgen, können sie nicht verhindern, daß der Salpeter durchschlägt. Salpeterblume, wulstig, zerplatzt. Hier, unter der Erde, unter dem Exerzierplatz, tief im ehemaligen Kommandohügel – und vielleicht nicht weit von der Stelle, an der sie ihn einst begruben –, hier stehen gewiß mehr Marmeladensorten als in Tordsens Laden, und jedes Glas ist von Dorothea beschriftet: Quitten, Erdbeeren, Apfelgelee und Pflaumen, aber auch schwarze Johannisbeeren und Preiselbeeren – wir haben von allem. Den Rumtopf, den hat der Chef selbst angesetzt, er ist auch so ziemlich der einzige, der das Zeug vertragen kann, drei Schalen hat er einmal im Winter leergelöffelt und konnte hinterher noch aufstehen und weggehen. Leicht lassen sich die Keime mit dem Daumen wegdrücken, ich brauche sie gar nicht abzuknipsen.
    Das ist Joachims Auto, er hupt zweimal, wie er es immer tut, und die Stimme ist Inas Stimme, sie spricht zu einem Fremden, das hör ich gleich, sie verabschiedet ihn förmlich, dankt für seinen Besuch – der Fremde selbst redet so leise, daß kaum ein Wort zu verstehen ist. Sicherlich bringt Joachim ihn zur Bahn. Vielleicht ist es der Mann mit der Aktentasche, das kann gut sein, vielleicht hat er sich durch alles hier durchgefragt und weiß nun genug. Wenn ich nur wüßte, wie alles hier wird, mit mir und mit ihm.
    Die Zugluft, warum zieht es auf einmal, ich hab die Kellertür doch zugemacht, aus das Licht, an das Licht, und die Schritte jetzt, die nicht Dorotheas Schritte sind; da kommt einer, da schleicht sich einer herunter, mal sehen, wer es ist und was er hier will – wenn ich mich ducke hinter der Schütte, tief wegducke, sieht er mich nicht. Der Chef. So murmelt nur er, wenn er allein ist. Er trägt ein Kästchen, ein Etui, das blauweiße Band ist wohl die Schleife, die an der Ehrenurkunde hing, und die er mit allen anderen Auszeichnungen und Preisen verschwinden ließ, nachdem wir das Eichenquartier vernichtet hatten; auch ein Päckchen trägt er, in Ölpapier eingeschlagen. Er setzt sich am Fuß der Treppe, regungslos stiert er vor sich hin, vielleicht hat er vergessen, warum er hier heruntergekommen ist. Er muß wissen, daß ich da bin, ich darf hier nicht kauern und ihn belauschen, ich muß mich erheben und ihm sagen, zu welcher Arbeit Bruno eingeteilt ist, aber nun ist es wohl schon zu spät. Wenn er mich nur nicht aufstöbert! Gleich hätte ich mich melden müssen. Wenn ich jetzt nur nicht husten muß oder einen Schluckauf bekomme.
    Zu den schweren, irdenen Krügen bückt er sich, vorsichtig zieht er sie von der Wand, die Krüge mit eingelegten Pflaumen, mit Kürbis und roter Bete, gewiß hat er da unten ein Versteck, er kratzt schon, er lockert, tief taucht er mit der Schulter weg und hebt da etwas heraus, immer im Selbstgespräch. Alles, was auf der Treppe liegt, nimmt er sich mit einem Griff, er hat es eilig auf einmal, versenkt die Sachen nacheinander in seinem Versteck und beklopft und verschließt es, vermutlich mit einem Stein oder mit einem ausgebrochenen Mauerstück. Das scharrende Geräusch der Krüge. Seine Erleichterung. Die Krüge verraten nichts. Sein Gesicht ist ganz naß vor Anstrengung, doch er ist zufrieden mit sich und wischt sich die Hände an den Hosen ab. Nun schleicht er nicht, nun stapft er nach oben. Knack, und ich sitze im Dunkeln und muß warten, bis die Tür geschlossen ist, und muß danach noch eine kleine Weile warten, für alle Fälle. Wer weiß, was er versteckt und in Sicherheit gebracht hat vor den andern, vielleicht sind es Dokumente oder alte Münzen, vielleicht auch Briefe, die ihm eines Tages als Beweis dienen sollen, er traut den anderen nicht mehr, er hat Angst, daß sie ihm fortnehmen können, was er für wichtig hält, der Chef fürchtet sich vor ihnen.
    Da tropft etwas, nagt etwas, kaum ist es dunkel, da wagt sich schon was heraus, ich brauch nur mit einer Kartoffel zu werfen, dann ist es gleich still, eine gespannte, eine summende Stille. Der sicherste Keller ist nicht sicher
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