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Lenas Flucht

Lenas Flucht

Titel: Lenas Flucht
Autoren: Polina Daschkowa
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andere Generation. Ganz Moskau rannte zu unseren Konzerten zusammen, und selbst aus Petersburg kamen sie. Klar haben wir manchmal auch unter Stoff gearbeitet, das ging nicht anders. Als dann die Altvorderen meine Venen gesehen haben … Das war vielleicht ein Theater! Papa wurde wild und wollte mich gleich in die Armee stecken. Aber dann hat er sich bald wieder eingekriegt. Ihm ist selber angst geworden – am Ende hätten die mich nach Tschetschenien geschickt. Ich bin schließlich ihr Einziger. So mußte ich auf dieses verdammte Sprachinstitut. Fünf Jahre haben mich meine Alten im Auto hingefahren und wieder abgeholt. Zu Hause habe ich hinter Schloß und Riegel gesessen.«
    »Und was willst du jetzt anfangen«, hatte ihn Lena damals gefragt.
    »Weiß nicht. Hab’ mich noch nicht festgelegt.«
     
    »Hallo, Chefin!« rief Goscha und ließ sich auf den Drehstuhl gegenüber fallen. »Immer fleißig?«
    »Hallo, Faulpelz«, gab Lena zurück, ohne ihre Lektüre zu unterbrechen.
    Goscha pfiff sich eins und ließ den Sessel kreisen.
    »He, Lena, schau mich doch mal an!« rief er. »So sieht einer aus, der zum ersten Mal einen eigenen Wagen fährt!« Er spielte mit den Autoschlüsseln. »Ich habe Papas altenWolga selber repariert. Drei Jahre hatte er in unserer Garage vor sich hin gerostet. Mit dem bin ich hergekommen.«
    »Super, Goscha«, lächelte Lena, »vielleicht wird aus dir noch ein ordentlicher Autoschlosser.«
    »Warum nicht?« Goscha drehte sich noch einmal um sich selbst. »Ich bin gefahren, als ob ich das schon zehn Jahre täte. Dabei war es echt das erste Mal. Nur als ich hier vor dem Haus parken wollte, wär’ ich fast auf einen Krankenwagen gedonnert.«
    »Was für ein Krankenwagen?« entfuhr es Lena.
    »Ein ganz gewöhnlicher. Ich hab’ mich noch gewundert, wem es in unserem Glaskasten so früh schon schlecht geworden ist. Und überhaupt, dort unten im Laden verkaufen sie diese tollen Dinger, in denen man ein Baby tragen kann. Tragetücher heißen die, glaube ich. Komm mit runter, wir schauen uns die mal an.«
    »Danke, Goscha, ich komme gleich«, antwortete Lena bedrückt.
    »Los, komm.« Goscha stand auf. »Ich muß dir meine Karre zeigen.«
    Gemeinsam fuhren sie in das verglaste Foyer hinunter. In einem der Shops, die mit allem möglichen handelten, waren Goschas Tragetücher in grellen Farben ausgelegt.
    »Klasse, nicht wahr? Was für eins willst du, hellblau oder rosa?«
    »Ein grünes«, antwortete Lena und schaute auf die Straße. Es war tatsächlich derselbe Krankenwagen. Die Nummer konnte sie nicht sehen, aber es gab keinen Zweifel. Selbst die Silhouette des Fahrers kam ihr bekannt vor.
    »Meinen Wolga mußt du dir anschauen!« Goscha zerrte Lena zur Glaswand des Foyers.
    In diesem Moment sah sie, wie die Tür des Krankenwagens aufging und der breitschultrige Fahrer in Lederjacke ausstieg. Er lief rasch auf die Tür zu. Die Pförtnerin, die in ihrer Loge strickte, schaute nicht einmal auf.
    Im Foyer war es fast leer, und der Fahrer kam mit großen Schritten direkt auf Lena und Goscha zu.
    »Hab’ ich ihn doch tatsächlich angebumst. Gleich wird er auf mich losgehen«, grinste Goscha.
    Lena stand wie angewurzelt, das Paket mit dem Tragetuch an die Brust gepreßt.
    »He, gibt es hier einen Imbiß oder so was Ähnliches?« hörte sie eine bekannte Stimme.
    Der Klang löste ihre Erstarrung; sie packte Goscha beim Ärmel und rannte mit ihm zu den Aufzügen.
    »Was hast du denn?« fragte Goscha erstaunt, als der Lift sich endlich bewegte.
    »Gleich«, flüsterte Lena, »gleich erklär’ ich dir alles …«
     
    Der Fahrer sah dem flüchtenden Pärchen einige Sekunden verblüfft nach.
    Das war doch der Kerl aus dem Wolga, der beinahe auf uns aufgefahren wäre. Dem hätten wir es geben sollen. Ach, zum Teufel mit ihm, dachte er bei sich.
    Da sah er quer durch das Foyer Kolja hinkend auf sich zukommen.
    »Das war sie! Kein Zweifel. Ich habe sie nach dem Foto erkannt!«
    »Hast du das dem Rotschopf schon gesagt?«
    »Hab’ ich.«
    »Und?«
    »Ach, nichts. Geh und kauf uns was zu fressen. Wir passen sie hier unten ab, wie besprochen.«
    »Und wenn sie uns erkannt hat und jetzt woanders rausgeht?« fragte der Fahrer.
    »Bist du blöd? Die hat uns doch noch nie gesehen! Außerdem muß sie trotzdem hier vorn vorbei. Der Rotschopf hat sich alles angeguckt. Und weggerannt ist nicht sie, sondern der Kerl. Ich hab’ auch ihn wiedererkannt. Der hat in dem Wolga gesessen. Als du reingekommen bist, hat er es
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