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Leipziger Affären - Kriminalroman

Leipziger Affären - Kriminalroman

Titel: Leipziger Affären - Kriminalroman
Autoren: emons Verlag
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dem linken unversehrten Auge.«
    Wo er recht hat, hat er recht. Die Augenklappe war ein untrügliches Zeichen dafür, dass vermutlich auch mit dem anderen Sehorgan irgendetwas nicht stimmen konnte. Unwillkürlich fummelte ich etwas verlegen an meiner Brille herum.
    »Aber davon mal abgesehen, tut das jetzt auch nichts zur Sache.«
    Mein Chef war kein Freund vieler Worte, vor allem dann nicht, wenn die Arbeit rief. Lotte war da anders, die war stadtbekannt für ihre plattdeutschen Weisheiten. Sie hievte drei Kisten fangfrischen Fisch, die an der Kaimauer geduldig auf sie gewartet hatten, auf ihren Kahn.
    »De Jung ward nich mihr ut keen kieken können.«
    Für das Protokoll war die Bemerkung unerheblich, dennoch wollte ich jede weitere wesentliche Aussage aus Gründen des besseren Verständnisses gleich auf Hochdeutsch in meinen Klappblock notieren.
    Zwei Kollegen von der Spurensicherung rückten an. Mit langen Stangen, an deren Enden in der Morgensonne Metallhaken glänzten, versuchten sie den Kopf, der jetzt wie ein Fußball im Wasser unberechenbar herumdriftete, aus dem Hafenbecken zu fischen.
    »Da stimmt was nicht!«
    Hansen beobachtete die ungeschickten Bemühungen unserer Kollegen.
    »Klar«, ergänzte ich selbstsicher, »da fehlt der Rest.«
    Der Rumpf schien unsauber abgetrennt, aber auch nach einem ersten gewissenhaften Suchen war er bislang nirgends im Hafenbecken und näheren Umfeld der Segelboote oder Fischkutter aufgefunden worden.
    »Das mein ich nicht«, entgegnete er kühl und fügte nach einem kurzen Moment des Nachdenkens erklärend hinzu: »Der Kopf schwimmt oben! Das kann nicht sein.«
    Hansen grübelte, ich auch.
    Wasserleichen waren für die Wismarer Polizei keine Seltenheit. Die Ostsee konnte ganz schön ungemütlich werden, in einer Hafen- und Küstenregion, in der sich Fischer, Segler und Touristen tummeln, gehörten Seeunglücke fast schon zum traurigen Alltag. Es verging kaum ein Jahr ohne verunglückten Seemann beziehungsweise Badegast.
    Fand man die Leiche nicht sofort, sogen sich die Lungen voll Salzwasser, und der Tote ging nach allen Regeln der Physik kurze Zeit später unter. Vorausgesetzt, dass er sich nicht im Seetang oder Fischernetz verhedderte, kehrte der Körper dann nach etwa drei Tagen wieder an die Wasseroberfläche zurück. Durch den Verwesungsprozess entstanden Fäulnisgase, die die Leiche aufblähten und nach oben trieben.
    Aber so eine Wasserleiche schwamm nicht ewig. Nach drei bis vier Wochen war die Haut so vollgesogen mit Flüssigkeit, dass der Leichnam fast das Doppelte an Masse hatte, dann sank er aufgrund seines Gewichts zum letzten Mal und endgültig auf den Grund des Meeres. Der Tote wurde langsam zu Modder und war dann irgendwann ganz weg.
    Das Ganze funktionierte nur auf der Basis eines geschlossenen Systems. Davon konnte man bei einem einzelnen Kopf natürlich nicht sprechen.
    Die beiden Kollegen von der Spurensicherung hatten endlich Erfolg und balancierten den Schädel zwischen zwei Stangen von der Wasseroberfläche in ein Auffangnetz und kippten ihn von dort kullernd auf eine schwarze Plastikplane, die man vorausschauend an der Kaimauer ausgelegt hatte.
    Neben Lotte, der Fischbrötchenverkäuferin, versammelten sich die ersten neugierigen Schaulustigen, die an diesem Feiertag sehr früh den Weg zum Hafen gesucht und gefunden hatten. Nun standen sie auf ihrem morgendlichen Spaziergang im angemessenen Abstand um einen Leichenkopf herum.
    Ich war zwar schon seit fünf Jahren bei der Polizei, davon zwei Jahre als Kriminalassistent bei der Kripo Wismar, als sogar ein Serienmörder monatelang in der Altstadt sein Unwesen getrieben hatte, aber so ein Totenschädel war auch für mich ein gruseliger Anblick.
    »Kennt den jemand?«, fragte ich in die Runde. Die meisten glotzten entsetzt und schüttelten nur ihren eigenen, ohne den Blick von dem aufgedunsenen, zerfledderten Kopf abzuwenden.
    Hansen kniete jetzt auf der Plane und begutachtete den Schädel genauer. Dazu benutzte der Kommissar einen Bleistift, mit dem er hier und da in den Öffnungen des Kopfes herumpulte.
    »Da haben wir ja das Corpus Delicti.«
    Hansen zog mit dem Stift ein Stück weißen Kunststoff aus dem offenen Hals. Keine Ahnung, ob die Gerichtsmediziner im Labor das gern gesehen hätten, aber eines musste man ihm lassen, den richtigen Riecher für das Lösen rätselhafter Phänomene hatte Hansen wie kein Zweiter.
    Die Plastiktüte (denn als solches erwies sich der Kunststoff) verstopfte den Zugang
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