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Leichtes Beben

Leichtes Beben

Titel: Leichtes Beben
Autoren: Peter Henning
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wie es einem Menschen im Endstadium einer solchen Krankheit ging; er hatte mal jemanden gekannt, dessen Vater Parkinson hatte. Nachdem er die Frikadelle verspeist und auch das Brot aufgegessen hatte, wischte er sich den Mund mit der Papierserviette ab: »Jetzt wäre gegen einen Klaren wohl nichts einzuwenden, oder was meinen Sie, Gnädigste?« Dabei sah er die Frau an.
    »Ja, Rolf, mach mir auch einen«, antwortete sie und griff sich ins Haar.
    »Also zwei Klare auf die Rechnung des Herrn?«
    »So ist es!«, antwortete Küppers und sah beim Blick auf die Uhr, dass er seit über einer halben Stunde im Kinderheim erwartet wurde.
    »Wo sind die Toiletten?«, fragte Küppers und erhob sich von seinem Platz.
    »Gleich da hinten!«, antwortete der Wirt und zeigte auf einen dunklen Gang.
    Küppers schlich den Gang entlang und fand die entsprechende Tür, die hinter ihm ins Schloss fiel. Drinnen erklang ein Geräusch, das ihn abrupt innehalten ließ: Es wurde von dem beständig herabrinnenden Spülwasser im Pissoir erzeugt, ein Zischeln, als ob Gas ausströmt.
    Küppers zog sein Handy und das Foto hervor und tippte die Nummer des Heims ein.
    |31| »Kinderheim Prasselburg, Schwester Christa am Apparat.«
    »Es ist so«, begann Küppers, »ich habe da ein Problem mit meinem Wagen.«
    »Wer spricht denn da?«
    »Ach so, ja«, sagte Küppers, »Küppers hier! Ob Sie wohl meinem Sohn sagen können, dass sich meine Ankunft noch ein wenig verzögert?«
    »Ach Sie, Herr Küppers, Robert dachte schon, Sie hätten ihn vergessen und kämen nicht mehr.«
    »Unsinn!«, erwiderte Küppers. »Ich lasse den Jungen doch nicht hängen!«
    »Das freut mich«, sagte die Frauenstimme. »Ich werde ihm sagen, dass Sie angerufen haben. Und noch eine gute Fahrt.« Dann beendete sie das Gespräch, und Küppers vernahm wieder das Zischen, das vom Pissoir herüberdrang.
    Er schob das Handy in die kleine Innentasche seines Sakkos, stellte sich ans Pissoir und wartete, während er auf die feinen rostbraunen Risse in der vergilbten Porzellanschale sah, dass der Urin aus ihm floss. Und nachdem er sich ausgiebig die Hände gewaschen und abgetrocknet und mit dem silberfarbenen Messingkamm, den er immer bei sich trug, seinen Scheitel nachgezogen hatte, ging er zurück in den Schankraum.
    Inzwischen hatte der Wirt den Fernseher angeschaltet. Er stand auf einer Truhe, und es liefen Nachrichten.
    »Sie heißen Carola, nicht wahr?«, sagte Küppers und kletterte wieder auf den Barhocker. Vor ihm stand das kleine randvolle Schnapsglas.
    |32| »Kein besonders schöner Name«, antwortete die Frau, die noch immer ihren Anorak trug. »Ines oder Jasmin finde ich viel besser.«
    »Ansichtssache«, sagte Küppers und fügte hinzu: »Ich kannte mal eine Carola, die war wunderschön, aber kalt wie ein Fisch. Bei der war nichts zu holen.«
    »Pech, so was«, sagte die Frau, ohne eine Miene zu verziehen. Dann griff sie nach ihrem Schnaps und sah Küppers an. »Na, dann mal rein damit!« Auf einen Zug kippte sie ihn hinunter.
    »Ja, Pech«, erwiderte Küppers und leerte ebenfalls sein Glas.
    »Die nächsten beiden gehen aufs Haus!«, sagte nun der Wirt und öffnete mit einem trockenen Klacken die Tür des Eisschranks.
    »Für mich keinen mehr, danke!«, sagte Küppers und zog schwerfällig seine Brieftasche hervor. »Mein Sohn wartet.« Dabei hätte er große Lust gehabt, weiter sitzen zu bleiben.
    Plötzlich trat im Fernseher ein Mann vor eine eingeblendete Deutschlandkarte.
    »Worum geht es denn da?«, fragte Küppers.
    »Um das Erdbeben, irgendwo bei Freiburg, glaube ich«, sagte der Wirt.
    »Ein Erdbeben? Bei uns?«, sagte Küppers. »Ich dachte, so was gibt’s bloß in Japan oder in Südamerika?«
    »Tja, da kann man mal sehen«, sagte die Frau.
    »Oje!«, rief der Wirt und streckte plötzlich den Arm in Richtung Fernseher aus. »Was ist denn mit dem los?«
    |33| Nun starrten alle drei auf die Mattscheibe. Der Mann, der eben noch über Erdstöße gesprochen und dabei mit seinem Arm kreisförmige Bewegungen gemacht hatte, war vor laufender Kamera zusammengebrochen.
    »Das is ja ’n Ding«, sagte die Frau. »Unglaublich!« Im nächsten Moment wurde das Programm unterbrochen, und es erschien auf der Mattscheibe die Einblendung »Kurze Unterbrechung«. Dazu lief Musik.
    »Na so was«, sagte Küppers. »Wahrscheinlich das Herz.«
    »Jetzt doch noch einen? Der Herr Sohnemann wird schon nicht weglaufen!«, sagte der Wirt, an Küppers gerichtet, und goss ihre Gläser wieder
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