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Lehmann, Sebastian

Lehmann, Sebastian

Titel: Lehmann, Sebastian
Autoren: Genau mein Beutelschema
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schwitzen, wie immer, wenn ich mich unwohl und überflüssig fühle. Und dazu noch nervös bin. Manchmal wünschte ich, ich würde rauchen. Dann hätte ich jetzt etwas zu tun. Leider stirbt man ja vom Rauchen, sonst würde ich sofort, ohne zu überlegen, damit anfangen. Blöderweise finde ich aber den Tod noch unangenehmer als solche peinlichen Situationen.
    Ich schiele auf den Stoffbeutel des Hipsters, der sich neben mir mit einem identisch aussehenden Neukölln-Exemplar unterhält. Auf dem Beutel steht: »Die kommt doch bestimmt eh nicht.«
    »Und dann bin ich am U-Bahnhof Kurfürstenstraße aufgewacht«, sagt er, »keinen Plan, wie ich da hingekommen bin. Ich meine – fuckin’ Tiergarten! Das ist mitten in Berlin und trotzdem der Arsch der Welt. Da gibt’s wirklich nichts außer Straßenstrich und Alki-Eckkneipen. Ich lag da einfach auf dem Bahnsteig rum und konnte mich an nichts erinnern. Seriously. Dann hab ich mir die Gegend ein bisschen angeschaut, wenn ich schon mal da war.«
    Ich traue meinen Ohren kaum, der war wirklich in Tiergarten? Normalerweise verirren sich solche Typen nicht zu mir in die Gegend, auch nicht unfreiwillig und besoffen.
    Aber der andere nickt heftig und bestätigt, dass ihm kürzlich das Gleiche widerfahren sei: »Das Einzige, an das ich mich noch erinnern kann, ist, dass ich die Weserstraße runtergelaufen bin und zwei Jugendliche in Trainingshosen und Kapuzenpullis auf mich zukamen. Dann wird alles black. Als Nächstes lag ich auch auf dem Bahnsteig Kurfürstenstraße. Da ist wirklich nothing.«
    Ich schüttle mich. Das macht mich ganz verrückt, wie die reden. Tatsächlich kann ich mich aber erinnern, in letzter Zeit immer mal wieder einzelne Stoffbeutelträger gesehen zu haben, die verwirrt auf der Kurfürstenstraße rumgelaufen sind.
    In diesem Moment sehe ich Christina. Sie sieht exakt gleich aus wie am Freitag im Kellerclub. Also auch exakt gleich gut. Neben ihr läuft Dr. Alban, ernst hinter seinen Brillengläsern dreinblickend. Ich habe mich nicht geirrt, alles wird gut. Keine Ahnung, woher dieser Optimismus kommt, aber ich nehme ihn als gutes Zeichen.
    »Marky«, ruft sie schon von weitem und läuft direkt auf mich zu. Wir umarmen uns locker zur Begrüßung, ich rieche wieder ihren Christina-Duft (wahrscheinlich gibt es ein Parfüm von der echten Christina A., das wirklich so heißt) und gebe Dr. Alban förmlich die Hand, obwohl ich ihn ja schon besser kenne als sie.
    »Was für ein Zufall!« Anscheinend hat ihr Dr. Alban nichts von unserer Begegnung erzählt. Ich forsche in seinem Gesicht nach Anzeichen, wie ich mich verhalten soll, ein Augenzwinkern vielleicht, doch er starrt mich nur ernst an und verabschiedet sich nach drinnen, die weißen Bilder begutachten.
    Christina lächelt mich an, und ich stelle mich auf einehochkomplizierte Unterhaltung ein, in der ich alle postironischen Codes bedienen, mich aber gleichzeitig geistreich und interessant geben und sie schließlich auch noch davon überzeugen muss, mich auf der Stelle zu heiraten, ein Null-Energie-Landhaus in der Uckermark zu kaufen und fünf niedliche Kinder zu zeugen. Die nennen wir dann in Anspielung an den denkwürdigen Abend, an dem wir uns kennengelernt haben, Nick, Brian, Kevin, Howie und AJ. Hoffentlich werden es nur Jungs. Aber AJ geht ja auch für Mädchen.
    Stattdessen frage ich wahnsinnig einfallsreich: »Interessierst du dich für Kunst?«
    Sie lacht. »Niemand hier interessiert sich für Kunst.« Wir blicken durch die großen Fensterscheiben in die Galerie, in der außer Dr. Alban nur noch zwei Sakkoträger die weißen Leinwände begutachten. Dagegen stehen auf der Straße etwa zweihundert Leute, die sich angeregt über Germany’s Next Topmodel , die neue Club-Mate-Sommeredition und natürlich über seltsame, wahrscheinlich drogenbedingte Blackouts, die in Tiergarten enden, unterhalten.
    »Lass uns woanders hingehen.«
    »Was ist mit Dr. Alban?«, frage ich noch, während sie mich schon von der Galerie wegzieht. Das geht alles sehr schnell. Aber ich mag, wenn Sachen schnell gehen, da muss ich nicht so viel nachdenken und irgendwelche Entscheidungen treffen. Ich finde es viel besser, wenn die Entscheidung mich trifft. Und Christina scheint so jemand zu sein, der die Dinge lieber selbst in die Hand nimmt. In diesem Fall also mich.
    »Der kommt schon allein zurecht. Wir können in so eine Bar hier um die Ecke gehen. Die hat keinen Namen.«
    Wieder verliere ich auf dem Weg zur No-Name-Bar sofort die
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