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Lebenslang

Lebenslang

Titel: Lebenslang
Autoren: Peter Schwindt
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Freundin eine Zwischenstation eingelegt.«
    »Ansonsten warten wir einfach ab«, sagt Robert. »Macht euch keine Gedanken. Wahrscheinlich kommt Julia zurück, während du noch nach ihr suchst.«
    Das ist genau das, was ich im Moment hoffe. Ich gehe durch das Gartentor in den Carport und schließe mein Fahrrad auf. Ärger und Sorge liefern sich einen heftigen Kampf. Ärger über meine Tochter, weil sie offenbar wieder einmal nicht auf die Uhr geschaut hat. Sorge, dass etwas Schlimmes passiert sein könnte. Beide Gefühle versuche ich zu ignorieren, als ich losfahre.
    Julia ist ein Gewohnheitsmensch, und ich hoffe, dass mir das hilft, sie zu finden. Selten benutzt sie Schleichwege oder eine Abkürzung, wenn sie vom Besuch bei einer ihrer Freundinnen heimkehrt. Eigentlich nimmt sie immer den Weg am Friedhof und am Hort vorbei. Und das ist auch der Heimweg vom Supermarkt zu uns. Ich fahre langsam und schaue mich gründlich um, rufe aber nicht ihren Namen. Als ich klein war, hat mich meine Mutter immer auf diese Art heim zum Abendessen beordert. Damals fand ich das ziemlich peinlich.
    Der Supermarkt ist um diese Zeit noch gut besucht, der Parkplatz bis hinauf zu der kleinen Tankstelle besetzt. Ich schließe mein Mountainbike an den Ständer.
    Die Türen gleiten auf, kalte klimatisierte Luft kühlt mein erhitztes Gesicht. An den Kassen stehen lange Schlangen von Männern und Frauen, die von der Arbeit gekommen sind und nun schnell ihre Besorgungen erledigen.
    Ich laufe die Gänge ab. Mir fällt ein, dass ich gar nicht weiß, was Julia trägt. Ich habe den ganzen Nachmittag in meinem Arbeitszimmer verbracht und sie das letzte Mal heute Mittag gesehen, als sie aus der Schule kam und wir zusammen gegessen haben.
    Meine erste Station ist die kleine Spielwarenabteilung, die sie trotz ihrer zehn Jahre aus Gewohnheit noch immer ansteuert. Dann gehe ich zu den Zeitschriften und Comics, aber auch hier finde ich sie nicht. Nachdem ich eine Viertelstunde den Markt abgesucht habe, gebe ich es auf.
    Eine abgekämpfte Frau mit totgebleichten Haaren und obligatorischer roter Kittelschürze räumt an der Information Zigarettenstangen in eine Glasvitrine, als ich sie anspreche. Sie heißt Schuchardt, der Name auf dem kleinen Schild über der linken Brust ist nur schwer zu lesen. Gereizt will sie wissen, wie sie mir helfen kann.
    »Ich suche meine Tochter«, sage ich. »Zehn Jahre, ziemlich groß für ihr Alter, rötlich braunes Haar, das zu einem langen Zopf geflochten ist.«
    Frau Schuchardt denkt kurz nach und schüttelt den Kopf. »Nein, ist mir nicht aufgefallen. Wann soll sie denn hier gewesen sein?«
    »Irgendwann in den letzten zweieinhalb Stunden«, antworte ich.
    Erneut schüttelt sie den Kopf. »Tut mir leid.« Sie dreht mir den Rücken zu und widmet sich wieder ihren Marlboro Lights.
    »Können Sie vielleicht bei den Kassiererinnen fragen?« Ich merke, wie mein Tonfall schärfer wird.
    Frau Schuchardt lässt sich in ihrem Pflichteifer nicht beirren. Sie beginnt, die Stangen akribisch aufzustapeln, damit sie einen schönen, ordentlichen Anblick bieten. »Wie stellen Sie sich das vor? Sehen Sie die langen Schlangen? Das geht jetzt auf gar keinen Fall.«
    Einen Moment lang starre ich die Frau fassungslos an. Sie bleibt gänzlich ungerührt. Ich hole tief Luft, um nicht ausfällig zu werden, und steuere die Kassen an, stelle immer wieder dieselbe Frage und erhalte immer wieder dieselbe Antworten, manchmal freundlich, meist ungehalten, immer kurz angebunden: Nein, wir können uns nicht erinnern. Keine Ahnung. Hier war kein Mädchen, das so aussieht. Ich komme mir wie ein Mann vor, der auf der Straße Passanten um Kleingeld anbettelt.
    Frau Schuchardt entdeckt mich und kommt zu mir herüber. Sie baut sich vor mir auf, die Fäuste in die Hüften gestemmt, ganz die Königin, die ihr kleines Reich mit eiserner Hand regiert. »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass im Moment zu viel los ist.«
    Schlagfertigkeit ist nicht meine Stärke. Erst wenn ich mich wieder beruhigt habe, fallen mir die passenden Antworten ein. Also beiße ich die Zähne zusammen und sage kein Wort.
    Es ist die junge Verkäuferin an der kleinen Feinkosttheke, die sich schließlich einschaltet. »Ich glaube, ich erinnere mich an das Mädchen. Sie trägt ein rotes T-Shirt und eine abgeschnittene Jeans?«, fragt sie in türkisch eingefärbtem Deutsch.
    Ich nicke, obwohl ich es nicht wirklich weiß. Das hatte sie jedenfalls noch heute Mittag an.
    »Vor zwei oder drei Stunden
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