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Leander und der tiefe Frieden (German Edition)

Leander und der tiefe Frieden (German Edition)

Titel: Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
Autoren: Thomas Breuer
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legte der beurlaubte Kommissar
seine Hände auf die Stahlrohre der umlaufenden Reling und umklammerte sie
unwillkürlich, als eine heftige Windböe ihn von vorne traf und in eine starke
Krängung drückte, die schwer nach Kentern aussah. Die eisige Kälte des Metalls
fraß sich sofort in seine Finger und Handflächen und ergriff bald so
erbarmungslos von seinem ganzen Körper Besitz, dass ihm heftige Schauer über
den Rücken jagten und seine Muskulatur sich schmerzhaft verkrampfte.
Unglaublich, wie schlagartig sich hier an der Küste die Temperaturen verändern
konnten. In den Tagen vor dem Sturm hatten sich die Menschen über den viel zu
milden Winter beklagt.
    Und trotzdem durchströmte Leander in diesem Moment so etwas wie
ein Glücksgefühl, weil er sich endlich wieder spürte. Wie abgestorben war er
sich während der letzten Monate vorgekommen, begraben unter einer meterdicken
Trümmerdecke eingestürzter Vergangenheit, die gleichbedeutend war mit dem
Scheitern sämtlicher Lebensträume, die er jemals gehabt hatte.
    Da waren Inka und die Kinder: Von Inka hatte er sich getrennt –
oder sie sich von ihm? – und die Kinder waren erwachsen und gingen ihre eigenen
Wege. Da war sein Job: Beruflich hatte er längst jede Illusion verloren und
sein Idealismus war im Laufe seiner Karriere auf der Strecke geblieben. Und da
war Lena: Über diesen Punkt musste er sich selbst erst einmal klar werden,
dachte er, und da kam die Auszeit gerade recht, auch wenn Lena das anders sah,
wie der unterkühlte Abschied gestern deutlich gezeigt hatte.
    »Hoffentlich findest du endlich, was du suchst«, hatte sie
resigniert gesagt. »Wer ständig auf der Suche ist, wird nie zu sich selbst
finden.«
    Als die Fahrrinne nun nach Süden bog, trug der Wind den Qualm
und das sanfte Dröhnen der Dieselmotoren waagerecht herüber, lediglich
zeitweise übertönt von den Flattergeräuschen der Kapuze an Leanders Ohren.
Unter ihm drehte sich das weiß-blaue Radar unbeirrt im Schneeregen, vor ihm
fraß sich die Fahrrinne durch trübe Endlosigkeit, zog eine dunkelgraue Spur in
beigefarbenen Schlick, begrenzt durch die Reisigbesen links und rechts und hin
und wieder durch eine Spierentonne, die dem Kapitän die sichere Tiefe markierte.
Das Schneetreiben wurde immer dichter. Es schien Leander, als verschlucke es
das Dröhnen der Diesel, als die Fahrrinne nun erneut Richtung Westen abknickte.
Geradezu lautlos glitt das große Schiff jetzt durch das Watt, das kurz vor
Leander auftauchte und knapp hinter der Fähre wieder verschwand. Sandbänke
deuteten sich zu beiden Seiten an und wiesen auf die Ebbe hin, ohne dass
Leander hätte sagen können, ob das Wasser gerade auf-oder ablief. Ob es sich
bei den länglichen schwarzen Schattenrissen auf dem Sand um Strandgut oder
vielleicht um ruhende Seehunde handelte, konnte er ebenfalls nicht erkennen.
    So hatte die Überfahrt in Leanders Vorstellungen des
vergangenen Tages nicht ausgesehen. Da waren nur die Bilder des Sommers
gewesen, Bilder von sonnenüberfluteten Decks, leichtbekleideten Urlaubern und
weißen Möwen vor blauem Himmel – Urlaubsträume. Aber dieses aktuelle
unterkühlte Szenario, das gestand er sich durchaus ein, entsprach eher seiner
Situation und Stimmung. Sonnige Decks und Kindergeschrei hätte er jetzt gar
nicht ertragen können. Lediglich die Rufe der Möwen fehlten ihm, die bei
besserem Wetter neben der Fähre durch einen blauen Sommerhimmel segelten und
auf Futter spekulierten, das ihnen von fröhlichen Urlaubern direkt vor die
Schnäbel geworfen wurde.
    So driftete Henning Leander konsequent der Insel entgegen, die
hinter dem Schneetreiben des grauen Wattenmeeres auf ihn wartete.

2
    Während Leander der realen Kälte die erinnerte Wärme seiner
letzten Überfahrt entgegengesetzt hatte, waren unvermittelt neben ihm zwei
Gestalten aufgetaucht, Arm in Arm und dick vermummt, vorgebeugt gegen Wind und
Schnee. Ihre behandschuhten Hände klammerten sich um die Reling, ohne dass man
ihnen ansah, wer von beiden der Mann und wer die Frau war, denn dass es sich um
ein Paar handelte, stand für Leander außer Frage.
    »Man sieht ja gar nichts«, hörte er die Stimme des Mannes und
etwas leiser und offenbar weiter entfernt die Antwort der Frau: »Lass uns
wieder reingehen, das ist mir zu ungemütlich hier.«
    Einen Moment verharrten die beiden Gestalten noch schweigend
neben Leander, dann lösten sie sich von der Reling und drehten sich mit dem
Rücken zu ihm weg, um mit dem Wind dem Salon
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