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Leander und der tiefe Frieden (German Edition)

Leander und der tiefe Frieden (German Edition)

Titel: Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
Autoren: Thomas Breuer
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dem Ausschalten des Motors
völlig aus und wurde im pfeifenden Sturm hin und her gerüttelt. Ein Mitarbeiter
der Wyker Dampfschiffreederei kam mit hochgeschlagenem Kragen und
tief in die Stirn gezogener Kapuze zu ihm, klopfte leicht an die Scheibe und
ließ sich die Fahrkarte zeigen. Danach begannen das Warten auf die erste Fähre
und das Frieren. Entsprechend froh war Leander, als die Uthlande endlich
anlegte und er seinen Volvo Kombi halbwegs geschützt durch die hohe Bordwand
auf dem Deck parken konnte.
    Er stieg aus und führte einen zunächst verzweifelten Kampf
gegen die hydraulische Tür, durch die er vom Fahrzeugdeck zu den anderen Decks
gelangen konnte. Der Hebel musste nur leicht nach links gedrückt werden, war
aber so flach angebracht, dass das nicht auf Anhieb ersichtlich und schon gar
nicht leicht umsetzbar war. Leander stieg die Stahltreppe hinauf und bahnte
sich einen Weg durch den dicht bevölkerten Salon der Fähre, dessen niedrige
Decke ihm das Gefühl gab, Teil der bunten Füllung eines Sandwiches zu sein. Die
Luft war angefüllt von Stimmengewirr und dem Mief nasser und in der Wärme vor
sich hin dünstender Kleidung. Kinder rempelten zwischen den Beinen drängelnder
Erwachsener in Richtung Fensterplatz; ein altes Ehepaar wurde von einem etwa
dreizehn Jahre alten Bengel kurz vor dem Ziel regelrecht beiseite geschubst,
was dem Mann schier die Sprache verschlug und der Frau ein mattes »Schade!«
entlockte. Die junge Familie, die den Fensterplatz ergattert hatte, kümmerte
das offenbar wenig, denn die Gesichter spiegelten Triumph und Zufriedenheit mit
dem Ausgang des ungleichen und rücksichtslosen Kampfes. Gleichzeitig
entwickelte sich ein erstes Gedränge an der Getränkeausgabe in der Mitte des
Salondecks, verbunden mit der gleichen Rüpelei, die Leander schon bei der
Platzsuche beobachtet hatte.
    Gern hätte er sich etwas aufgewärmt, aber das hier war
unerträglich, und so flüchtete er weiter, folgte der Stahltreppe eine Etage
höher zum Sonnendeck und trat befreit aufatmend in die nasskalte Dezemberluft
hinaus. Links neben der Tür zeigte ein Thermometer ein knappes Grad über Null.
    Die weißen
Kunststoffsitzbänke mit Edelstahlsitzflächen standen in krassem Gegensatz zu
den nostalgischen beigefarbenen Plastikbänken der Nordfriesland , mit der
er im Sommer übergesetzt hatte. Hier war alles modern, hell und antiseptisch.
Die Edelstahlsitze glänzten im Nieselregen und reflektierten das blasse
Morgenlicht. Derart abgestoßen trat er schaudernd an die Seitenreling und
beobachtete das Ablegemanöver der Uthlande . Ein Mann in einem triefenden
grau-roten Regenmantel bediente einen Schaltknopf in einem weißen Stahlkasten,
und die Laderampe schloss sich langsam und fast geräuschlos zu einem Stück
Bordwand. Die Uthlande legte seitlich ab und glitt langsam an den Hafenmauern
von Dagebüll vorbei, die bei Leanders letzter Überfahrt im Sommer von
Schaulustigen und Angehörigen bevölkert gewesen waren, heute aber verlassen im
nasskalten Dezembermorgen dalagen. Hinter der Hafenausfahrt verjüngten sich die
Mauern zu Buhnen, und auch diese liefen bald im grauen Schlick des
Wattenmeeres aus. Leander schaute noch einmal zurück auf den kleinen Hafen, der
allmählich von Regen-und Nebelschleiern verschluckt wurde. Es war nicht schade
darum.
    Leander zog sich die Kapuze seines Regenmantels über den Kopf,
verließ die Reling und zog sich zu den Aufbauten zurück, die die beiden
Sonnendecks voneinander trennten. Er durchquerte den Verbindungstunnel, der
wechselseitig von Glasscheiben vor dem Wind geschützt war und ihn zum
Slalomlaufen zwang, und gelangte so auf die Bugseite des Schiffes. In
unregelmäßigen Stößen trafen ihn Böen wie ein nasskalter Aufnehmer schräg von
der Seite und drohten ihn wegzuwischen. Der Wind kam unbarmherzig aus Nordwest
und trieb den Regen in dichten Schleiern vor sich her. Schwankend driftete
Leander durch die Bankreihen und strebte der Reling zu. Erste Schneeflocken
mischten sich nun in den Regen, der Leander ins Gesicht geschleudert wurde und
schmerzhaft in die Haut schnitt.
    Windchillfaktor minus Zero , kam Leander der Titel eines
Liedes der Boomtown Rats in den Sinn – gab es die eigentlich noch? Dabei
bemühte er sich, nicht von seinem Kurs abzuweichen. Er musste sich wieder daran
gewöhnen, dem Gegenwind zu trotzen, zumal er froh sein konnte, nach dem
heftigen Sturm der vergangenen Nacht überhaupt schon übersetzen zu können.
    Am Ende des Decks angekommen,
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