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Leander und der tiefe Frieden (German Edition)

Leander und der tiefe Frieden (German Edition)

Titel: Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
Autoren: Thomas Breuer
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die sich von hier endlos geradeaus zu erstrecken schien. Die Nächste links,
die Nächste wieder links, und Leander befand sich in der Wilhelmstraße und
damit mitten im Gewirr alter und kleiner Gässchen, die Wyks Innenstadt so
gemütlich und nostalgisch machten. Kurz bevor die Wilhelmstraße auf die
Fußgängerzone stieß, lag auf der linken Seite ein kleines, altes Friesenhaus
mit Fachwerk und Reetdach, das Holz schwarz, die Gefache weiß gestrichen,
hinter einen verwitterten Zaun geduckt, leicht unterhalb des Straßen-Niveaus,
so dass ein paar Stufen zur Haustür hinabführten.
    Leander stellte seinen Wagen am Straßenrand ab und stieg aus.
Parkfläche gab es hier nirgendwo, und so würde er zügig seinen Wagen entladen
und ihn dann zurück auf den Großraumparkplatz vor der Innenstadt fahren müssen.
    Er öffnete das morsche Zauntörchen, das sich erstaunlich leicht
in seinen Angeln bewegte und gar nicht mehr so erbärmlich quietschte wie bei
seinem letzten Besuch, und stieg die Stufen zur Haustür hinab. In den
Fachwerkbalken oberhalb der Tür war ein Sinnspruch eingraviert und weiß
ausgemalt, der Leander schon im Sommer positiv aufgefallen war: Des Lebens
wahrer Preis sind Redlichkeit und Fleiß. Das gefiel dem Atheisten Leander,
der nichts mehr hasste als die Scheinheiligkeit der Menschen, die ihre Frömmigkeit
in Sinnsprüchen über dem Türstock zur Schau stellten und ihren Nächsten im
Alltag hinten herum kalt lächelnd über den Tisch zogen. So fühlte er sich
gebührend begrüßt und auf das Herzlichste eingeladen, obwohl er auf der Insel
weniger dem Fleiß als vielmehr der Entspannung huldigen würde.
    In Brusthöhe hing ein Messingklopfer an der Tür, den Leander
anhob und auf die Messingplatte fallen ließ, worauf ein dumpfes Dröhnen aus dem
Flur zu ihm hinausdrang. Er wartete geduldig auf die Schritte des alten Mannes,
aber drinnen tat sich auch nach mehreren Minuten nichts. Als auch das erneute
Klopfen erfolglos blieb, ging Leander seitlich um das Haus herum, immer an dem
verwitterten, ehemals weißen Holzzaun entlang, der das Grundstück im vorderen
Bereich dicht einschloss.
    Auch durch die allesamt verschlossenen Fensterläden wirkte das
Haus eher verwaist, als dass jemand auf Leander zu warten schien. Dabei wusste
sein Großvater doch, dass er heute anreisen würde, und kannte auch die
Ankunftszeiten der Fähre, schließlich hatten sie sich erst gestern noch
telefonisch darüber verständigt. Da Leander ihn am Anleger nicht gesehen hatte,
musste er also zu Hause auf ihn warten. Und doch war es auch nicht des Großvaters
Art, morgens die Läden nicht zu öffnen. Sollte der alte Mann um diese Zeit noch
in der warmen Koje liegen und den Schlaf des Gerechten genießen? Für einen
Fischer war das eher unwahrscheinlich. Irgendetwas stimmte hier nicht, man
musste kein Kriminalist sein, um das zu erkennen.
    Leander verließ das Grundstück und wandte sich dem Nachbarhaus
zur Linken zu, in dem Frau Husen wohnte, die seinem Großvater zweimal pro Woche
den Haushalt führte. Sie besaß eine moderne Klingel an der Haustür und öffnete
so schnell, als hätte sie bereits auf der Lauer gelegen.
    »Guten Morgen, Frau Husen«, begrüße Leander die Frau, deren
Alter er schon im Sommer nicht hatte bestimmen können. »Ich bin mit meinem
Großvater verabredet, aber er scheint nicht zu Hause zu sein. Wissen Sie, wo er
sein könnte?«
    Frau Husen schüttelte ihr grau meliertes Haupt, während ihr
dürres Gesicht, das von Ausdruck und Aussehen her irgendwo zwischen Habicht und
Waran anzusiedeln war, sich alle Mühe gab, den Eindringling abzuwehren.
    »Eigentlich müsste er da sein«, erklärte sie in einem Tonfall,
der Leander wohl sagen sollte, dass er selbst zum Anklopfen zu blöd sei.
»Warten Sie, ich habe einen Schlüssel.«
    Sie griff in Schulterhöhe hinter sich und nahm zielsicher einen
Schlüsselbund vom Schlüsselbrett an der Dielenwand, ohne genauer hinsehen zu
müssen. Dann eilte sie Leander voraus zur Haustür seines Großvaters und wollte
gerade aufschließen, als Leander ihr in den Arm fiel.
    »Warten Sie«, forderte er sie auf, einem beruflichen Reflex
folgend, der sich nicht einfach ablegen ließ. »Lassen Sie mich das machen.«
    Frau Husen war so überrascht, dass sie ihm den Schlüsselbund
kampflos überließ. Die Haustür besaß ein altertümliches Schloss, zu dem ein
Schlüssel mit Bart gehörte, keiner der Sicherheitsschlüssel, die sonst noch am
Bund hingen. Die Haustür öffnete sich
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