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Leahs Vermächtnis (Berg und Thal Krimi) (German Edition)

Leahs Vermächtnis (Berg und Thal Krimi) (German Edition)

Titel: Leahs Vermächtnis (Berg und Thal Krimi) (German Edition)
Autoren: Béla Bolten
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Instrumenten oder Kehlen jämmerliche Töne entlockten. Heute war es menschenleer. Er war froh, die breite Marktstätte zu betreten. Bald begann es. Am Abend würden sie das Feuer entzünden, um darum zu tanzen in ihren urtümlichen Kostümen. Ein archaischer Akt wie vor Tausenden von Jahren. Das wärmende, Licht spendende Feuer gegen Kälte und Dunkelheit. Jetzt würde sich der Kreis schließen. Was vor Hunderten von Generationen mit dem Tanz um das gezähmte Feuer seinen Anfang nahm, würde jetzt vollendet in einem nie gesehenen Kunstwerk. Endlich würde das Darstellende mit dem Nachbildenden versöhnt. Nicht Malerei oder Bildhauerei, nicht Tanz oder Schauspiel allein reichten aus, um den Taumel der menschlichen Sinne in seinem inneren Wesen zu erfassen. Ein Reigen, getanzt vom Anbeginn der Zeit mit der gleichen Abfolge. Am Anfang stand das Versprechen, und am Ende hofften alle auf die Erlösung. Dazwischen blickten die Sterblichen in die tiefsten Abgründe des Daseins.
    Ihn fröstelte. Die großen Herausforderungen an seine Fähigkeiten lagen noch vor ihm. Aber wo, wenn nicht in dieser Stadt, und wann, wenn nicht in diesen Tagen, sollte es ihm gelingen. Gestern hatte es gut funktioniert. Zugegeben, »Das Versprechen« stellte die geringsten Anforderungen an den Künstler. Es war eine Art Fingerübung für Anfänger. Das Modell war gut gewählt. Allerdings erwies es sich als schwierig, den Gesichtsausdruck zu modellieren. Anfangs sah wie ein Grinsen aus, was das unergründliche Lächeln der Mona Lisa zeigen sollte. Es brauchte viele Versuche, ehe er zufrieden war. Fast noch schwerer war es, die Augen zu öffnen. Sie fielen immer wieder zu. Sicher würde er darin von Mal zu Mal routinierter werden. Er zweifelte nicht, dass er das Vertrauen seiner großen Lehrerin rechtfertigen könnte. Vorgestern hatte er sie besucht, um sich zu bedanken. Sie half ihm auch bei diesem Werk. Deshalb musste er denjenigen bestrafen, dessen einziges Recht auf Leben darin gründete, sie zu beschützen. Nichts anderes war seine Aufgabe. Er hatte versagt.
    Am Kaiserbrunnen standen fünf Hansele, die den Beginn des Spektakels nicht erwarten konnten. Sie fassten sich an den Händen und tanzten ausgelassen Ringelreihen. Er sollte aufhören zu grübeln, in irgendeiner Kneipe etwas trinken. Nein, keinen Alkohol, den brauchte er nicht. Er bog ab in die Münsterstraße und ging zielstrebig in Richtung Niederburg. Dort gab es viele Gaststätten. Er musste sich einen Moment ausruhen. Ein paar Minuten Ruhe würden ihm guttun. Er brauchte Kraft. Viel Kraft.
     
     
    ***
     
     
    Früher wartete fast immer Bettina Berg auf Thal, der es nicht geschafft hatte, pünktlich Feierabend zu machen. Heute öffnete zuerst Thal die Tür zu der kleinen, mit Tischen vollgestopften Trattoria. Sofort kam ihm Antonio freudestrahlend entgegen. Als hätte er ihn gestern zuletzt gesehen, rief er: »Buona sera, commissario. Fraulein Berge isse noch nicht da!«
    Der Wirt geleitete ihn zu dem einzigen halbwegs ruhigen, weil durch einen Mauervorsprung abgeteilten Tisch in der hinteren rechten Ecke des Restaurants. Don Antonios Trattoria war ein Stück Italien – genauer: ein Stück Kampanien - in Konstanz. Entsprechend lebhaft ging es zu. Mit schwungvoller Geste nahm Antonio das Reserviert-Schild vom Tisch, das er dort seit vier Jahren jeden Mittwoch aufstellte. Ohne Reservierung war es unmöglich, abends einen Platz zu finden. »Don Antonios« war einer der wenigen Orte, an denen sich alte und junge Konstanzer trafen. Nur Touristen verirrten sich selten in das von außen unscheinbare und in einer dunklen Gasse am Rand der Altstadt liegende Restaurant. Gott sei Dank, dachten die meisten Stammgäste. Austauschbare Touristenrestaurants mit ihrem immer gleichen Angebot gab es genug in der Stadt. Hier waren die Speisen hausgemacht, eine Mikrowelle hatte Antonios Küche, in der seine Frau Anna laut- und durchsetzungsstark regierte, noch nie gesehen. Zudem bot die Weinkarte alles, vom preiswerten »vino della casa« bis zum Super-Toskaner, für den einer der vielen hier tafelnden Studenten den halben BAföG-Satz auf den Tisch legen müsste.
    Thal hatte Bettina nach dem Ende ihrer kurzen, heftigen und unglücklichen Affäre mit Tobias vorgeschlagen, sich einmal in der Woche zu einem außerdienstlichen, rein privaten Abendessen zu treffen. Also bat er Antonio, jeden Mittwoch um neunzehn Uhr jenen ruhigen Tisch freizuhalten. Sollten sie um halb acht nicht gekommen sein, könne er
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