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Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition)

Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition)

Titel: Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition)
Autoren: Laurence Sterne
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berührte eine geheime Feder der Empfindung oder des Entzückens.
    – Es waren die süßesten Töne, die ich jemals gehört; sofort ließ ich das Kutschenfenster nieder, um sie besser zu hören. – Es ist die Maria, sagte der Postillon, als er bemerkte, dass ich lauschte. – Die arme Maria, fuhr er fort (und drehte sich zur Seite, damit ich sie sehen konnte, denn er saß zwischen uns), da sitzt sie auf einer Bank und spielt ihr Abendlied auf der Pfeife, mit ihrer kleinen Ziege neben sich.
    Und wer ist denn die arme Maria? fragte ich.
    Der Liebling, der bemitleidete Liebling aller Orte hier herum; sagte der Postillon. – Noch vor drei Jahren beschien die Sonne kein schöneres, klügeres und liebenswürdigeres Mädchen; und Maria verdiente auch wirklich ein besseres Schicksal, als dass ihr durch die Intrigen des Pfarrers, der ihr Aufgebot verkünden sollte, die Ehe verboten wurde.
    Er wollte weiter erzählen, als Maria, die eine kleine Pause gemacht hatte, die Pfeife wieder an den Mund brachte und die Melodie von neuem begann; – es waren dieselben Töne aber noch zehn Mal süßer. – Es ist der Abendgottesdienst der h. Jungfrau, sagte der junge Mann; – Niemand weiß, wer ihn ihr gelehrt hat oder wie sie zu ihrer Pfeife kam: wir glauben, dass ihr der Himmel zu beidem verholfen hat; denn seit ihr Geist zerrüttet ist, scheint dies ihr einziger Trost zu sein; sie hat seitdem die Pfeife nicht aus der Hand gelegt, spielt aber Tag und Nacht nur diese geistliche Melodie.
    Der Postillion erzählte dies mit so viel Takt und natürlicher Beredsamkeit, dass ich nicht umhin konnte, etwas in seinem Gesicht zu entdecken, das über seinen Stand hinausging. Ich würde ihn deshalb über seine eigene Geschichte ausgeholt haben, wenn nicht die arme Maria meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hätte.
    Wir waren inzwischen der Bank nahe gekommen, wo Maria saß; sie hatte eine dünne weiße Jacke an, ihr Haar steckte bis auf zwei Zöpfe in einem seidenen Netze, in das auf der einen Seite ein Paar Olivenblätter etwas phantastisch eingeschoben waren: – sie war schön, und wenn ich je die ganze Kraft eines aufrichtigen Herzeleids empfunden habe, so war es in dem Augenblick da ich sie sah.
    Gott stehe dem armen Mädchen bei, sagte der Postillon; man hat in den verschiedenen Kirchspielen und Klöstern hier herum über hundert Messen für sie gelesen, – aber ohne Erfolg. Da sie in kurzen Zwischenräumen vernünftig ist, so haben wir immer noch die Hoffnung, dass die heilige Jungfrau sie endlich wieder herstellen werde; ihre Eltern aber, die sie am besten kennen, haben alle Hoffnung aufgegeben und glauben, dass sie ihren Verstand für immer eingebüsst habe.
    Während der Postillon sprach, machte Maria eine so melancholische, zärtliche und klagende Kadenz, dass ich aus der Chaise sprang, um ihr zu helfen; und ehe ich von meiner Aufregung zu mir selbst kam, saß ich zwischen ihr und ihrer Ziege.
    Maria sah mich eine Weile gedankenvoll an und dann wieder ihre Ziege, – und dann wieder mich, – und abermals ihre Ziege – und so fort.
    Nun, Maria, sagte ich sanft, findest du einige Ähnlichkeit?
    Ich bitte den arglosen Leser mir zu glauben, wenn ich ihn versichere, dass ich diese Frage nur in der demütigsten Überzeugung davon tat, welch' eine Bestie eigentlich der Mensch ist; und dass ich in der ehrwürdigen Gegenwart des Unglücks mir keinen unzeitigen Scherz hätte erlauben mögen, und wenn ich dadurch auf all den Witz ein Anrecht bekommen hätte, den Rabelais um sich streute; – und doch gestehe ich, das Herz schlug mir und ich empfand solches Wehe, nur wenn ich das dachte, dass ich mir schwor all den Rest meiner Tage der Weisheit zu huldigen und nur Ernsthaftes von mir zu geben; – nie aber, – nie wieder zu versuchen, so lange ich lebte, mit einem Mann, Weib oder Kind zu scherzen.
    Was das Schreiben von Unsinn betrifft, so glaube ich, machte ich einen Vorbehalt, – doch darüber mag die Welt entscheiden.
    Leb wohl, Maria! – leb wohl, armes unglückliches Mädchen! – einst, aber nicht jetzt, höre ich vielleicht deinen Kummer von deinen eigenen Lippen; – doch ich täuschte mich; denn in diesem Augenblick ergriff sie ihre Pfeife und erzählte mir damit eine solche Schmerzensgeschichte, dass ich aufstand und mit schwankenden Schritten langsam nach meinem Wagen ging.
    Welch' ein treffliches Wirtshaus in Moulins!
     
    304. Kapitel
    Wenn wir an den Schluss dieses Kapitels gekommen sind (aber nicht früher),
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