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Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition)

Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition)

Titel: Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition)
Autoren: Laurence Sterne
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mit der Hälfte der so weg galoppierten Summe, hätte er zehn Mal mehr Gutes tun können. Was aber bei ihm noch schwerer wog als alle anderen Betrachtungen zusammen, war der Umstand, dass auf diese Art all seine Mildtätigkeit dem Einen besonderen Kanal zufloss, wo sie nach seinem Dafürhalten am wenigsten angelegt war, nämlich dem Kinder tragenden und Kinder zeugenden Teil seines Sprengels; so dass nichts übrig blieb für die Kranken, die Altersschwachen und die vielen trostlosen Szenen, zu denen er stündlich gerufen wurde, wo Armut, Siechtum und Herzeleid beisammen wohnten.
    Aus diesen Gründen beschloss er, diese Ausgabe fallen zu lassen. Es gab jedoch nur zwei Wege, um ihn ganz aus der Sache zu ziehen; entweder musste er es sich zum unwiderruflichen Gesetz machen, sein Pferd nie wieder zu verleihen, die Bitte mochte noch so dringend sein, oder er musste sich dahin bescheiden, die letzte arme Mähre so fortzureiten, wie sie sie ihm zugerichtet hatten mit all ihren Fehlern und Schwächen bis ans Ende vom Liede.
    Da er seiner Standhaftigkeit im ersten Falle nicht traute, hielt er sich in aller Heiterkeit an den letzteren; und obwohl er die Sache wie gesagt, recht gut zu seiner Ehre auslegen konnte, so wollte er es gerade deshalb nicht, und zog es lieber vor die Verachtung seiner Feinde und das Gelächter seiner Freunde zu ertragen, als dass er eine Geschichte erzähle, die wie ein Loblied auf ihn lauten konnte.
    Dieser einzige Zug im Charakter des ehrwürdigen Herrn gibt mir die höchste Idee von seinen edeln und zarten Empfindungen; er kommt meiner Ansicht nach einer jeden jener ehrenwerten Feinheiten des unvergleichlichen Ritters aus der Mancha gleich, den ich beiläufig gesagt, trotz aller seiner Narrheiten mehr liebe als den grössten Helden des Altertums und dem ich weiter nachgegangen wäre, um ihm einen Besuch zu machen, als diesen.
    Doch dies ist nicht die Moral meiner Geschichte: was ich beabsichtigte war, die Stimmung der Welt in dieser ganzen Sache auseinander zu setzen. Denn Sie müssen wissen, dass so sehr auch diese Erläuterung dem Pfarrer Ehre gemacht hätte, keine Menschenseele darauf kam; ich glaube, dass seine Feinde nicht wollten, seine Freunde aber nicht konnten. Sobald er sich aber der Hebamme annahm und die Sporteln für sie bezahlte, kam das ganze Geheimnis heraus; jedes Pferd, das er verloren hatte, ja 2 Pferde mehr als er wirklich verloren hatte, nebst allen Umständen, wie sie zu Grunde gerichtet wurden, kamen jetzt zu Tage und wurden aufs genauere erörtert. Die Geschichte lief wie ein Lauffeuer um: Der Pfarrer habe wieder einen Anfall von Hochmut bekommen; er wolle sich wieder ein gutes Pferd anschaffen, und da würde er, das sei ja klar wie der Tag, die Unkosten der Sporteln in einem Jahr zehnfältig herausschlagen; da könne sich ein Jeder selbst klar machen, was für einen Zweck er mit diesem Akte der Mildtätigkeit verfolgt habe.
    Was sein Zweck bei dieser oder bei jeder anderen Handlung seines Lebens gewesen – oder vielmehr was die Meinungen seien, welche in anderer Leute Gehirn hierüber aufkamen, das war ein Gedanke, der nur zu sehr sein eigenes Gehirn bewegte und zu oft seine Ruhe störte, wo er alles Recht gehabt hätte gesund zu schlafen.
    Vor etwa zehn Jahren hatte der Pfarrer das Glück, in dieser Beziehung vollkommen erleichtert zu werden, denn gerade so lange her ist es, dass er den Sprengel verließ – und zugleich die ganze übrige Welt; er ist nun einem Richter verantwortlich, über den sich zu beklagen er keine Ursache haben wird.
    Aber den Handlungen einiger Menschen klebt eine gewisse Schicksalstücke an; sie mögen sie einrichten, wie sie wollen, sie passieren ein gewisses Medium, indem sie so verwirrt und von ihrer wahren Richtung abgebracht werden, dass wenn sie auch noch soviel Anspruch auf jedes Lob haben, welches den Taten eines edeln Herzens zukommt, die Ausüber derselben ohne ein solches leben und sterben müssen.
    Der gute Pfarrer war ein peinliches Beispiel dieser Wahrheit. Um aber zu ersehen. wie dies kam, und um diese Einsicht nutzbringend für Sie selbst zu machen, ersuche ich Sie dringend, die zwei folgenden Kapitel zu lesen, welche eine solche Skizze seines Lebens und seiner Meinungen enthalten, dass die Moral sich von selbst daraus ergeben wird. Wenn dies geschehen ist und uns sonst nichts dazwischen kommt, wollen wir mit der Hebamme weiter machen.
     
    11. Kapitel
    Der Name dieses Pfarrers war Yorick, und was besonders merkwürdig an demselben
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