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Lass los was dich festhaelt

Lass los was dich festhaelt

Titel: Lass los was dich festhaelt
Autoren: Penny McLean
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denken! Sondern einfach empfindend wahrnehmen,
wie das, was Sie als Ihr »Ich« bezeichnen, hinwegsinkt in ein scheinbares Nichts, in eine sanfte dunkle Wolke.

    Logischerweise sind dieser Betrachtung Grenzen gesetzt, weil die Beobachtung das Aufzeichnungswerkzeug Ihres Gedächtnisses ist, das, wie bereits beschrieben, in Ihrem physischen Körper verankert ist wie ein Schiff im Hafen. In Ihrer letzten Stunde werden Sie das vorher beschriebene Hinwegsinken ähnlich wie beim Einschlafen erleben, aber Ihr Bewusstsein wird den Vorgang dieses Mal mit völlig wachem Interesse beobachten. Warum?
    Weil Sie Ihr Gedächtnis »mitnehmen«, das sich wie alles, was Ihr Wesentliches ausmacht, der irdischen Hülle entzieht. Während dieses letzten »Reibungsvorgangs« entsteht auch der berühmte und oft beschriebene »Lebensfilm«, der sich Ihnen als umfangreiche Bilderfolge präsentieren wird, ähnlich wie beim umgekehrten Vorgang des Wiedereintretens Ihres Geistkörpers vor jedem Erwachen. Dieses berühmte »Hinwegsinken« in eine andere Welt wird sich Ihrem Charakter gemäß gestalten. Wenn Sie während Ihrer irdischen Existenz davon überzeugt waren, dass Sie unersetzlich und unverzichtbar sind und dass alles nur funktioniert, wenn es von Ihnen kontrolliert wird, könnte sich Ihr Abschied von dieser Welt schwieriger gestalten, als es Ihnen und Ihrer persönlichen Umgebung lieb sein wird.

    Während ich dieses Buch schrieb, starb eine meiner engsten Freundinnen. Wenige Tage, bevor sie ging, wurde ich angerufen und gebeten zu kommen. Ich ließ also den Stift fallen, rannte zum Flughafen und setzte mich in die nächste Maschine. Während des Fluges hatte ich genug Zeit nachzudenken. Ich hatte meine Freundin vor dreißig Jahren kennengelernt, und zwar als das, was man eine Despotin nennt. Sie hatte
eine Art, ihre Umwelt mit mehr oder minder sanfter Gewalt herumzukommandieren, die mich staunen machte. Ich staunte weniger darüber, wie sie das tat, sondern mehr, wie die Leute darauf reagierten. Entweder sie regten sich auf und mieden sie, oder sie fügten sich ihrem Regiment. Wie diejenigen, die sich ihrem Regiment fügten, das taten, war bemerkenswert. Die einen krochen, die nächsten unterwarfen sich aus irgendwelchen Überlegungen mehr oder weniger widerstandslos, und wieder andere ließen sie einfach gewähren und machten nur so weit mit, wie es ihnen passte. Und dann gab es noch ein Häuflein, das nur scheinbar mitmachte, weil es die Einsamkeit dieser Frau erkannte und ihre Ängste durchschaute und - sie einfach nur lieb hatte. Ich hatte sie sehr lieb. Also wollte ich am Ende ihres Lebens bei ihr sein, und irgendwie war mir klar, dass dieses Ende erst kommen konnte, wenn ich an ihrer Seite war. Als ich bei ihr zu Hause ankam, lag sie in ihrem Bett, umgeben von Pflegerinnen und unfähig zu beinahe allem, was einen aktionsfähigen Menschen ausmacht. Aber sie erkannte mich, brachte ein Lächeln zustande und sprach sogar einige wenige Worte.
    Ich saß Tag und Nacht bei ihr, fütterte sie, las ihr vor, erzählte ihr unsere alten Geschichten und massierte ihre Hände. Am vierten Tag, als wir allein waren, streckte ich mich neben ihr aus, nahm sie in den Arm und sagte: »Du musst keine Angst haben. Du wirst sie alle wiedersehen, die Eltern, deinen Mann, deine Freunde. Die stehen schon alle bereit zum Empfang. Freu dich und grüß sie bitte. Hör mal: Du warst doch immer eine elegante und selbstständige Frau. Und jetzt schau mal - das bist doch nicht mehr du! Das willst du doch gar nicht mehr haben, oder?«
    Da drehte sie den Kopf, ganz langsam, und schaute mich mit einem Blick an, dass ich dachte, jetzt zerreißt es mir das Herz.
Ich umarmte sie noch inniger und sagte: »Ich bin bei dir und ich geh auch nicht weg, bis ich sehe, dass du dich traust. Und hoffentlich trau ich mich dann auch zur rechten Zeit, und wehe, du holst mich dann nicht ab!«
    Da lächelte sie ein letztes Mal und schlummerte ein bisschen ein. Wenige Stunden später fing der typische Atem des Sterbens an und in ihr Gesicht traten die Zeichen des Abschieds. Ganz ruhig. Ganz sanft. Da war nichts Angespanntes und nichts Verkrampftes, das unbedingt noch festhalten wollte, sondern nur Liebes. Und die Sicherheit, dass es gut ist, dass alles gut ist.
    Ich bin übrigens sicher, dass sie mich abholen wird. Genau so wie meine Alena, mit dem Lied »Open the door« und noch einige andere, wie ich hoffe.

    Ganz anders spielte sich das Ableben der Schriftstellerin Sandra Paretti
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