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Langenscheidts Handbuch zum Glück (German Edition)

Langenscheidts Handbuch zum Glück (German Edition)

Titel: Langenscheidts Handbuch zum Glück (German Edition)
Autoren: Florian Langenscheidt
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darauf hinzuweisen, dass es weit schlimmer hätte kommen können oder dass irgendjemand sonst es viel schlimmer habe. Das ist die Umkehr des Neids, der schon genug Unglück über die Menschheit bringt: Im Neid freue ich mich nicht mehr über ein Geschenk, weil mein Bruder ein größeres bekommt. Hier soll ich mich wohl meines Schmerzes freuen, nur weil es jemand anderen noch schlimmer getroffen hat.
    Es ist nervig, wenn andere einem wohlmeinend so etwas aufdrängen. Sagt man es sich aber selbst, ist es die beste und stärkste Medizin gegen das kleine Unglück.
    Man kann sich über so vieles beklagen und an so vielem leiden – aber vergleicht man sein normales Maß an Unglück mit dem von Menschen, die großes Unglück getroffen hat, hilft das enorm, die Dinge ins rechte Licht zu rücken. Ich zumindest empfinde mich dann fast als klein mit meinen Klagen und sehe sie schnell als larmoyante Übertreibung. Wenn jemand mit der Amputation eines Beines, mit einer Lähmung, mit dem Verlust eines Kindes oder mit einer unheilbaren Krankheit halbwegs leben kann, was für ein Recht habe ich, mich wegen irgendeiner Kleinigkeit bei der Schicksalsbehörde zu beschweren und mir die Stimmung verderben zu lassen? Wie weinerlich, wie unreif, wie unfair auch gegenüber denen, die vom Schicksal wirklich hart getroffen wurden. Fast schäme ich mich in solchen Momenten und rufe mir schnell zu: »Reiß dich zusammen!«
    Der Vergleich mit dem viel Schlimmeren relativiert und tröstet.
    Was uns besonders beschämt und alle verfügbaren Hüte ziehen lässt, sind Menschen, die trotz schrecklicher Schicksalsschläge ihren Optimismus behalten oder sogar verstärken, indem sie sich neues Glück auf anderen Ebenen erschließen. Dann erst kommt die Fähigkeit zum Glück zu sich, gewinnt beeindruckende Statur und verdient allen Respekt. Glücklich sein, wenn es einem relativ gut geht, kann eigentlich fast jeder – wenn es auch, darum dieses Buch, trotzdem viele nicht schaffen. Aber im Gegenwind und unter Extrembedingungen glücklich zu sein und das Leben genießen zu können, ist eine Leistung, die zu Recht stolz machen kann: die hohe Schule des Glücks, das Lachen auf der Krebsstation.
    »Schicksal als Chance« – unter diesem Thema moderierte ich einmal eine Talkshow. Es wurden nur Menschen eingeladen, die mehrfach Krebs oder andere heimtückische Krankheiten überwunden hatten. Alle berichteten übereinstimmend, sie würden ihr Leben seitdem weitaus bewusster und dankbarer leben und seien letztlich sogar glücklicher als vorher.
    Glück existiert auf dieser Welt leider oft nur in der Kategorie des Trotzdem. Kinder verhungern und verdursten, Epidemien raffen Hunderttausende dahin, Naturkatastrophen verwüsten ganze Länder und lassen Millionen ohne Dach über dem Kopf zurück. Kindern werden Füße und Hände durch Landminen abgerissen, zwölfjährige Mädchen zur Prostitution gezwungen, Jungs verstümmelt, damit sie als Bettler mehr einnehmen. Dazu kommen all die persönlichen Katastrophen vom Verlust eines Kindes über Multiple Sklerose bis zum gebrochenen Halswirbel durch einen Sprung in zu flaches Wasser. Allein in Deutschland hören mehr als fünf Eltern pro Tag von einem Arzt die Diagnose: »Ihr Kind hat Krebs.« Und dann all die wirtschaftlichen Nackenschläge vom Verlust des Arbeitsplatzes über die Privatinsolvenz bis zum Konkurs der mit so viel Herzblut aufgebauten Firma …
    Gesundes und stabiles Leben ist eine gefährdete Spezies.
    Und trotzdem schaffen es die Menschen, dem Schicksal Inseln des Glücks abzuringen. Aber eben »trotz dem«. Und die Geschichten dahinter sind es, die uns rühren und Beispiel geben. Der Mensch ist Weltmeister im Trotzdem.
    Unsere ganze Erziehung ist geprägt davon: Mach dir keine Sorgen, sei nicht wehleidig, das geht schon wieder vorbei, ein Indianer kennt keinen Schmerz, Heile, heile, Segen, morgen gibt es Regen, übermorgen Sonnenschein … Über Jahre hinweg senden wir solche Botschaften, weil wir selbst damit gut fuhren und unsere Spezies wohl nur so überleben kann. Und in vergangenen Epochen ging es wesentlich härter zur Sache: Stell dich nicht so an, beiß die Zähne zusammen, jetzt übertreib
mal nicht, was einen nicht umbringt, macht einen stärker – so musste man sich da zwangsläufig zurufen.
    Das ist zu Recht die Botschaft der Erziehung: Du wirst das schon schaffen, das geht wieder vorbei. Sie schenkt uns in unterschiedlicher Ausprägung eine großartige Fähigkeit, mit Krisen umzugehen.
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