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Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)

Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)

Titel: Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)
Autoren: Thilo Corzilius
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sich die Schuld an der Situation zu geben. Sie humpelte einige Schritte über das Feld, dann zog sie die Schuhe aus, die sie beim Gehen auf dem Acker nur behinderten. Nebel, wohin sie auch blickte. Der grelle Mond schien die wabernde Wand vor ihr an und tauchte alles in einen bläulich-silbrigen Schein. Nicht einmal bis zum Rand des Ackers konnte sie blicken, und so taumelte sie ziellos, verängstigt und unter laufender Selbstverfluchung über das Feld.
    Nach einer Weile meinte sie, eine Gestalt im Nebel auszumachen. Sie kniff die Augen zusammen, war sich aber nicht sicher. Wenn es ihr Gentleman war, so konnte er sich auf etwas gefasst machen ... jetzt kam es auch nicht mehr drauf an. Sie ließ ein Stilett aus ihren Ärmel gleiten, das sie auswärts häufig bei sich trug – mehr aus Gewohnheit denn aus echter Sorge.
    Ein paar Schritte weiter gewann die Gestalt im Nebel an Schärfe. Ja, das musste er sein, er war schmal und trug ein langes, schwarzes Gewand, von Nebelfetzen umspielt.
    „Du Hund!“, schimpfte sie und näherte sich ihm mit so viel Mut, wie sie aufbrachte. Fliehen konnte sie ohnehin nirgendwohin, ihr Gegenüber war im Zweifelsfalle schneller und hatte obendrein noch ein Pferd, auch wenn er offensichtlich abgestiegen war. Also blieb ihr nur die Flucht nach vorn, zitternd vor Kälte und Angst.
    Doch ihr Kunde reagierte nicht auf ihren Ruf. Im Gegenteil, er schien sie nicht einmal anzublicken, sondern in den Nebel zu starren.
    „He!“, rief sie erneut. Sie überlegte, ob es sich vielleicht um eine Vogelscheuche handelte, die sie versehentlich zu einer Reaktion zu bewegen versuchte.
    Dann hatte sie ihr Gegenüber erreicht und packte ihren vermeintlichen Gentleman bei der Schulter. Es handelte sich nicht um eine Vogelscheuche. Doch hätte Ellen in diesem Augenblick klar denken können, sie hätte sich vielleicht eine Vogelscheuche gewünscht.
    Der Schwarzgewandete drehte den Kopf und starrte sie an. Leere Augenhöhlen und ein Gesicht, das aussah wie verschrumpeltes Leder, durchzogen von grässlichen Furchen.
    Ellen schrie aus Leibeskräften, wollte ihre Hand von der Schulter der Erscheinung nehmen, doch die Gestalt packte ihr Handgelenk mit ledrigen, dürren und klammen Fingern. Ellen ging auf die Knie und schrie, schrie immer weiter.
    Das vertrocknete Gesicht verzog sich zu einer noch schrecklicheren Grimasse, und im letzten Augenblick glaubte Ellen zu erkennen, dass es sie angrinste.
    Dann kam der andere Arm der teuflischen Gestalt zum Vorschein. Er hielt ein Stundenglas in der Hand.
    Die schwarzgewandete Erscheinung beugte sich zu der kreischenden Ellen hinunter und hielt ihr das leere Stundenglas vor das Gesicht, während die leblosen Augenhöhlen sie verzerrt durch das Glas hindurch anstarrten.
    Ellen verstummte für einen kurzen Augenblick. Dann krümmten sich die verdorrten Finger um das Stundenglas, es knirschte und zersprang ...
    2.
    Bäume, wohin man auch blickte. Dicke Eichen, schlanke Buchen, diverse elegante oder struppige Nadelhölzer.
    Im Sommer musste es hier wunderschön sein. Es war der perfekte Ort, um sich an der Schönheit der Welt zu erfreuen. Im Herbst wirkte es wie der Vorhof zu einem riesigen Friedhof, ein Sinnbild für die Sterblich- und Vergänglichkeit allen Seins.
    Als wir die Abreise organisiert hatten, hatte ich darauf bestanden, nicht wieder in einer Kutsche zu reisen. Selbst wenn dies bedeutet hätte, dass ich alleine auf einem Postpferd neben den anderen her ritt. Nach einem kurzen Für und Wider hatten Hagen und Salandar sich bereit erklärt, ebenfalls auf selbstgelenkte Reittiere umzusteigen. So sparte man den Kutscher, dummerweise aber auch den Kofferraum. Doch da die Reise nicht von langer Dauer war, hatten meine Gefährten schließlich eingewilligt. Die Grafschaft Eulenbach, einschließlich des Städtchens Leyen, lag immerhin nur etwa anderthalb Tagesritte weit nördlich. Es bedeutete auch, dass Hagens und mein Tier erheblich mehr durch Satteltaschen belastet waren. Denn Salandars rheinischem Warmblut konnte man kaum zumuten, neben seinem Reiter auch noch allerlei metallische Gerätschaften und Waffen zu transportieren.
    Auf der Karte hatte Eulenbach recht beschaulich ausgesehen. Tief im Weserbergland gelegen und vor allem – das war wohl die Tatsache, die die Grafschaft so besonders erscheinen ließ, denn so wirkte es etwas einsam – ringsum umgeben von einem breiten, dichten und kaum erkennbar gerodeten Wald. Durch ebendiesen ritten wir momentan.
    Im Zentrum der
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