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Landpartie mit drei Damen

Landpartie mit drei Damen

Titel: Landpartie mit drei Damen
Autoren: Nancy Mitford
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schrecklichsten Dinge. Wo in aller Welt können les petites méchancetés nur sein?«
    Und sie klimperte mit den Augen, worauf Noel erwartungsgemäß erklärte, dass sie, ihrem Aussehen nach zu urteilen, doch viel zu jung sei, um Kinder zu haben.
    »Ich? Ich bin schrecklich alt. Ich wurde mehr oder weniger aus dem Kinderzimmer weg geheiratet.« Sie seufzte und schaute zu Boden, die Augen weit aufgerissen. Dieses hinreißende Geschöpf, die arme Kleine, in der Langeweile der Ehe gefangen, ohne das Leben und die Liebe erfahren zu haben. Noels ritterlichste Empfindungen waren geweckt, er fand sie wunderschön und viel mehr nach seinem Geschmack als Miss Smith, Miss Jones oder Eugenia. Er war dankbar, dass von Jasper ausnahmsweise nichts zu sehen war.
    »Wer sind Sie?«, fragte Mrs Lace anmutig. »Vielleicht sind Sie durch Zauberhand auf unserem Dorfplatz gelandet. Jedenfalls hoffe ich, dass Sie nicht gleich in einem Rauchwölkchen wieder verschwinden werden. Espérons que non. Versprechen Sie’s!«
    Noel versprach es. Dann begleitete er sie nach Comberry Manor, wo er Schlüsselblumenwein zu trinken bekam und eine ganze Menge über Mrs Lace erfuhr.
    Sie sei glücklich verheiratet, sagte sie, mit einem gut aussehenden Mann namens Hubert Lace, der ein lieber Kerl, aber furchtbar eifersüchtig, egoistisch, habgierig und geizig sei. Diese unschönen Worte wurden nicht ausgesprochen, sondern in einer schaumigen Sauce zuckersüßen Geplappers serviert. Da der liebe Kerl auch etwas beschränkt sei, habe er für ihre künstlerischen Bestrebungen natürlich kein Verständnis, weshalb ihr nichts anderes übrig bleibe, als völlig in ihrem Garten und den Kindern und den Tröstungen des Geistes aufzugehen. Aus der Tatsache, dass sie Anne-Marie hieß, mit einem leichten französischen Akzent sprach und sich einer eigentümlichen Ausdrucksweise bediente, sowie aus ihrer ganzen Erscheinung schloss Noel, dass sie keine Engländerin war. Damit lag er völlig falsch.
    Die ersten zwanzig Jahre ihres Lebens hatte sie auf den Namen Bella Drage gehört und in einem Landpfarrhaus gelebt. Als fantasievolles und unternehmungslustiges Geschöpf überredete sie ihren Vater, sie zum Gesangsunterricht nach Paris zu schicken. Er kratzte so viel Geld zusammen, dass sie sechs Monate bleiben konnte, und als sie zurückkehrte, hieß sie Anne-Marie und sah auch so aus. Kurz nach dieser Metamorphose lernte sie beim Jagdball Hubert Lace kennen, der sich von ihrem wallenden Kleid, ihrer edwardianischen Frisur und ihren unvermittelten, wenngleich fehlerhaften Abstechern ins Französische verzaubern ließ. Er legte ihr Herz und Besitz zu Füßen. Bella Drage war klug genug, um zu erkennen, dass sie es vermutlich nicht besser treffen konnte, aber nicht ausreichend klug, um an dem Major einen unerwarteten Zug von Halsstarrigkeit vorauszusehen, der bewirkte, dass er sich beharrlich weigerte, an einem anderen Ort als in Comberry zu wohnen. Sie wusste nun, dass ihre Vorstellung, in London mit eleganten Bohemiens zu verkehren, sich nicht würde verwirklichen lassen, solange sie mit ihm verheiratet war. In einem ihrer liebsten Tagträume stellte sie sich vor, wie Hubert starb. Vielleicht würde er von einem Jerseybullen aufgespießt oder von einem dieser mittelweißen Schweine angefallen, die, wenn der Major, sie einer plötzlichen Eingebung folgend, auf ein Kohlfeld statt auf den vertrauten Trog losließ, mitunter furchtbar verrückt spielten. Nach der Beerdigung und der angemessenen Trauerzeit würde dann eine interessante junge Witwe London im Sturm erobern. Eine Scheidung als Alternative zu dem Ableben des armen Hubert war ihr nie in den Sinn gekommen. Die Jahre im elterlichen Pfarrhaus waren nicht spurlos an ihr vorübergegangen, und im Grunde ihres Herzen war Mrs Lace eine anständige kleine Person.
    All diese Dinge blieben Noel verborgen. Er sah, was er sehen sollte: ein vitales Geschöpf, das in widriger Umgebung lebte, ein Singvogel in einem verrosteten Käfig, eine Gardenie in einem hässlichen Sumpf, eine Mariana wie in dem Gedicht von Tennyson. Eugenia verblasste, Miss Smith und Miss Jones brauchten, was ihn betraf, überhaupt nicht geboren zu sein. Jasper mochte den ihm zustehenden Platz als mittelloser Schmarotzer einnehmen, er, Noel, hatte ihn endlich übertroffen und durch eigene Anstrengungen, ohne fremde Hilfe, eine Perle unter den Frauen gefunden.
    Sie redeten und redeten beim Schlüsselblumenwein, und Noel erkannte, dass seine Perle ebenso
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