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Landleben

Landleben

Titel: Landleben
Autoren: John Updike
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bestückten Ar-

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    beitsbank, die Buddys abwesender Vater gebaut und dann
    verlassen hatte –, doch gab es Momente der Befangenheit
    in ihrer Beziehung, weil Buddy anderthalb Jahre älter war
    als er. Eines Nachmittags, als Owen Buddy zum Monopo-
    ly-Spielen erwartete – ein Spiel, das die Jungen eine Sai-
    son lang leidenschaftlich spielten, zwischen ihren Leiden-
    schaften für Rommé und Schach –, hatte er das Spielbrett
    mit liebevoller Sorgfalt auf dem Teppich aufgebaut: Die
    Ereigniskarten und Anteilscheine waren spiralförmig aus-
    gelegt, wie die große Treppe in einem Hollywood-Musical,
    und die roten Hotels und grünen Häuser aus Holz waren
    nach einem bestimmten Muster angeordnet, ein perfektes
    Dorf in Weihnachtsfarben, wie von einem Flugzeug aus ge-
    sehen.
    Als Buddy ins Zimmer kam, sagte er mit deutlichem Ab-
    scheu: «Ach, Owen!», schob die Karten zu dem üblichen
    unordentlichen Stapel zusammen und warf die Häuser und
    Hotels wieder in das Fach. Owen war getroffen und be-
    mühte sich von da an sein Leben lang, nicht zu deutlich zu
    zeigen, wie wichtig ihm jemand war, um nicht zu riskieren,
    dass er dann töricht dastand. Man muss sich versichern,
    dass die Stromkreise stimmen, bevor man etwas anschließt,
    sonst schmoren die Drähte durch.
    Nach einem Streit Über etwas, das bald vergessen war,
    lief Owen unter Tränen aus dem Keller und hörte sich in
    Buddys Richtung schreien: «Wenigstens hab ich einen Va-
    ter!»
    Dass er seinen Freund damit quälte, mit dem fehlenden
    Vater – er war über sich selbst entsetzt. Scham wallte in
    ihm auf wie das trüb-schwarze Wasser, wenn sein Fuß das
    dünne Eis auf dem Morast hinter dem Highschool-Gelän-
    de durchbrach. Er versuchte sich am nächsten Tag zu ent-
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    schuldigen, war sich aber dennoch nicht sicher, ob sich das
    selbstverständliche Vertrauen zwischen ihm und Buddy je
    wieder einstellte. Abgesehen davon, dass sie Dinge elektri-
    fizierten und Modellflugzeuge zusammenklebten, beschäf-
    tigten sie sich stundenlang mit kindlichen Bastelarbeiten,
    die keinen erkennbaren Nutzen hatten – zum Beispiel
    sägten sie aus Sperrholz Disney-Figuren aus. Mit angehal-
    tenem Atem führte Owen das dünne Blatt seiner Laubsäge
    um eine heikle Ausbuchtung wie Goofys Schnauze oder
    Mickeys Ohren herum. Geschöpfe aus allen Disney-Zei-
    chentrickfilmen sowie die grünhäutigen Gremlins, die er-
    funden worden waren, um den Kriegsjargon zu illustrieren,
    erschienen auf Hunderten von militärischen Abzeichen;
    fast sah es so aus, als ob Disney und Hollywood den Krieg
    führten mit seiner millionenstarken Darstellertruppe. Bud-
    dy wollte bei den Pionieren dienen und Brücken errichten,
    über die ganze Armeen marschieren konnten; Owen woll-
    te Testpilot werden und beim Sturzflug erst in der letzten
    Sekunde das Ruder rumreißen. Er hatte Buddy auf dem
    Spielplatz im Sandkasten kennen gelernt – er hatte mit
    seinem
    gummibereiften
    M-4-Spielzeugpanzer
    gespielt,
    und der größere Junge war zu ihm gekommen und hatte
    ihm angeboten, ihm seine Sammlung von Modellflugzeu-
    gen zu zeigen – P-51er und Zeros und Spitfires und Messer-
    schmitts, manche aus Blei, andere hatte er selbst aus Balsa-
    holz gebastelt –; sie waren in seinem Keller, in dem Haus
    gleich hinter dem Maisfeld, nur sechs ungerade Nummern
    von Owens Haus und drei von dem Unglückshaus der
    Hoffmans entfernt. Die Rourkes – Buddy, seine gutmütige
    Mutter und seine schnippische jüngere Schwester – hat-
    ten nicht ein ganzes Haus, sondern wohnten im Erdge-
    schoss und dem Keller eines Doppelhauses aus gelbem

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    Backstein, das ziemlich neu war. Insgesamt wohnten vier
    Familien darin, Leute, die sich kein eigenes Haus leisten
    konnten, und das war ein bisschen so, wie in der Second
    Street zu wohnen oder einen Vater zu haben, der nicht nett
    zu der Mutter war.
    Owen war dankbar, dass er nicht in einer Mietwohnung
    wohnte, so wie er froh war, dass er kein Mädchen war und
    kein Linkshänder. Wenn er sich nur vorstellte, er müsste in
    dieser verkrampften Haltung schreiben, nur um mit dem
    Handballen die nasse Tinte nicht zu verwischen! Er war
    ein Glückskind, zu diesem Schluss war er früh gekommen.
    Und bestimmt hatte er Glück, verglichen mit den Kin-
    dern in London oder Leningrad oder, später, mit denen in
    Berlin oder Tokio. Wenn bei ihm zu Hause die Lampen
    ausgemacht wurden und sie sich auf den Treppenabsatz
    hockten, um möglichst vor fliegenden Glassplittern in
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