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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht
Autoren: Stefan Holtkoetter
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Wozu denn auch? Alles, was ich will, bist du, Nathalie.«
    Sie betrachtete ihn schweigend. Da war so viel Trauer in ihren Augen, dass es ihm beinahe das Herz brach.
    »Wenn wir zusammen sein wollen«, sagte er, »dann muss das für uns doch nicht bedeuten, so ein Leben zu führen. Das geht auch anders. Wenn du meine Familie erst kennengelernt hast. So schlimm sind sie gar nicht, glaub mir.«
    »Marius, bitte. Wem willst du denn jetzt was vormachen? Deine Familie ist ein Haufen durchgeknallter Irrer, dein Vater allen voran. Siehst du das denn nicht mehr?«
    Er spürte plötzlichen Ärger in sich aufsteigen. »Vergreif dich bitte nicht im Ton. Immerhin ist es meine Familie.«
    »Nein, Marius.« Ein erschöpftes Lächeln. »Nein. Du musst dich entscheiden. Ich oder sie.«
    Das konnte unmöglich ihr Ernst sein. Er sah doch alles bereits vor sich. Ihre gemeinsame Zukunft. Sie würden das Unternehmen führen. Das konnte sie doch unmöglich gegen ein stinkendes Abrisshaus in Neukölln eintauschen wollen. Jetzt, wo es für alles eine Lösung gab.
    »Wenn es wegen Roland ist, vergiss ihn. Ich werde dafür sorgen, dass …«
    Härte trat in ihr Gesicht. »Nein. Ich oder deine Familie.«
    »Was soll das jetzt, Nathalie?«
    »Siehst du denn nicht, was los ist? Du bist wie hypnotisiert. Hat dein Vater so viel Macht über dich? Die manipulieren dich alle! Dein Vater. Deine Schwester. Und das ist nicht alles. Denk nur an die Sache mit der toten Taube vor meiner Tür. Das kannst du nicht einfach beiseitewischen. Und denk an Mikey. Dein Bruder hat ihn zusammenschlagen lassen. Sein ganzer Körper ist voller Prellungen und Blutergüssen. Hast du ihn denn nicht gesehen? Das war deine Familie!«
    Sein Herz wurde zu einer Faust. Er konnte nichts dagegen tun, und obwohl er wusste, wie dumm das war, sagte er bitter: »Ach so, Mikey. Daher weht der Wind also.«
    »Was willst du damit sagen?«, fragte sie drohend.
    »Ich hab mir das schon gedacht, du und Mikey …«
    »Nein … das kannst du nicht wirklich denken!«
    »Wieso denn nicht? Es ist doch die Wahrheit. Er passt schließlich viel besser zu dir. Wie lange wolltet ihr mich noch zum Narren halten? Wie lange läuft das schon zwischen euch?«
    »Du weißt genau, dass das nicht stimmt!«
    »Ach ja? Weiß ich das?«
    Nathalie erhob sich von ihrem Stuhl. Sie schritt durch die Küche und baute sich vor ihm auf. Ihre Augen glühten vor Zorn.
    »Zieh uns da nicht mit rein!«, fauchte sie. »Mach nicht andere für dein Versagen verantwortlich. Du allein bist es, der hier alles zum Einsturz bringt. Weil du ein Versager bist, Marius.«
    Die Worte hatten die Kraft eines Messers. Da war nur noch Schmerz. Er konnte nicht mehr denken. Der Schlafmangel, die Belastungen der letzten Tage, das ganze Durcheinander machten das unmöglich. Er schlug zu. Seine Hand landete hart auf ihrer Wange. Ihr Kopf wurde zur Seite gerissen, die Haare flogen durchs Gesicht.
    Dann wurde es totenstill.
    Es war vorbei.
    Marius starrte sie fassungslos an. Was hatte er nur getan? Er fühlte sich wie gelähmt. War unfähig, irgendwas zu denken oder zu tun.
    »Geh, Marius«, stieß sie hervor. »Geh. Ich will dich in meinem ganzen Leben nie wiedersehen.«
    An das, was dann geschah, würde er sich später nicht mehr genau erinnern können. Irgendwie hatte er die Wohnung verlassen. Wie ein Zombie war er die Treppen hinabgestiegen.
    Erst als er draußen vor der Tür stand, sickerte langsam zu ihm durch, was geschehen war. Die Erkenntnis traf ihn mit voller Wucht. Es war vorbei. Sein Leben war nun zu Ende.

29
    Nach dem Frühstück betrat Hambrock das Arbeitszimmer, um einen neuen Notizblock aus dem Schreibtisch zu holen. Das Gästebett war noch nicht gemacht. Decke und Kissen lagen zerwühlt da, so wie Fabio es zurückgelassen hatte. Er blieb mitten im Raum stehen und betrachtete das Bett. Eine seltsame Leere erfüllte ihn.
    Erlend tauchte neben ihm auf. Sie folgte seinem Blick und machte ein betretenes Gesicht.
    »Es tut mir leid, Bernhard. Ich hätte ein bisschen lockerer sein sollen. Meine Vorbehalte einfach mal vergessen.«
    »Nein, schon gut. Deine Vorbehalte waren ja berechtigt. Er ist ein zielloser Jugendlicher aus einer Problemfamilie. Er hat Vorstrafen wegen Ladendiebstahls. Und er ist obdachlos. Er hätte uns die Wohnung leerräumen können.«
    »Nein, das hätte er wohl nie getan. Es war nämlich deine Wohnung. Das habe ich jetzt verstanden.«
    »Ist schon gut. Er hat jetzt ein tolles Zuhause. Besser konnte es nicht
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