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Kuschelmuschel

Kuschelmuschel

Titel: Kuschelmuschel
Autoren: Roland Dahl
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offenbar also das letzte, was Oswald je schrieb, und wohin er sich nach diesem Datum begab oder was er danach trieb, entzieht sich unserer Kenntnis. Hier sind wir gänzlich auf Vermutungen angewiesen. Sie werden die Eintragung sogleich im Wortlaut lesen können, aber damit Sie einiges, was Oswald in dieser Geschichte sagt und tut, besser verstehen, möchte ich Ihnen zunächst ein wenig über ihn selbst erzählen. Aus der Fülle der Bekenntnisse und Reflexionen, die in den 28 Bänden enthalten sind, tritt uns ein recht klares Bild seines Charakters entgegen.
     
Zur Zeit der Sinai-Episode war Oswald Hendryks Cornelius 51 Jahre alt, und er hatte natürlich nie geheiratet. «Ich fürchte», so pflegte er zu sagen, «dass ich mit einem ungewöhnlich wählerischen Wesen gesegnet - oder vielmehr sollte ich sagen: geschlagen - bin.»
     
In gewisser Weise traf dies zu, doch in manch anderer Hinsicht - und insbesondere was das Heiraten angeht - war diese Äußerung das genaue Gegenteil der Wahrheit.
     
Der wahre Grund, warum Oswald sich geweigert hatte zu heiraten, lag einfach darin, dass er sein Leben lang nie imstande gewesen war, seine Aufmerksamkeit länger auf eine einzelne Frau zu konzentrieren, als er zu ihrer Eroberung brauchte. War letzteres einmal geschehen, verlor er jedes Interesse an ihr und sah sich nach dem nächsten Opfer um.
     
Ein normaler Mann würde darin schwerlich einen triftigen Grund dafür sehen, Junggeselle zu bleiben, aber Oswald war nun einmal kein normaler Mann. Er war nicht einmal ein normaler polygamer Mann. Er war, um ehrlich zu sein, ein so unbeständiger und unverbesserlicher Schwerenöter, dass keine Braut der Welt es länger mit ihm ausgehalten hätte als ein paar Tage, geschweige denn für die Dauer der Flitterwochen - obschon es, weiß der Himmel, genug Frauen gab, die nur zu bereit gewesen wären, es auf einen Versuch ankommen zu lassen.
     
Er war hochgewachsen und schlank. Seine Stimme klang sanft, seine Umgangsformen waren angenehm, und auf den ersten Blick wirkte er eher wie ein Kammerherr am Hof der Königin als wie ein berüchtigter Wüstling. Nie sprach er anderen Männern gegenüber von seinen amourösen Affären, und hätte ein Fremder auch einen ganzen Abend mit ihm zusammengesessen und geplaudert, er wäre doch nicht in der Lage gewesen, das geringste Anzeichen von Arglist in Oswalds klaren blauen Augen zu entdecken. Oswald war im Grunde genau der Mann, den ein besorgter Vater gern gebeten hätte, seine Tochter sicher heimzubegleiten.
     
Saß Oswald aber mit einer Frau zusammen, einer Frau, die ihn interessierte, veränderte sich blitzschnell der Ausdruck seiner Augen, und wenn er sie ansah, begann genau im Zentrum seiner beiden Pupillen ein kleiner, gefährlicher Funke zu tanzen. Und dann redete er lebhaft und gescheit und sicherlich amüsanter auf sie ein, als das irgend jemand zuvor getan hatte. Dies war eine besondere Gabe von ihm, ein geradezu einzigartiges Talent, und wenn er es darauf anlegte, wanden sich seine Worte wie eine Schlange um seine Zuhörerin, bis er sie in eine Art Trance versetzt hatte.
     
Aber nicht nur seine gepflegte Unterhaltung und das Funkeln in seinen Augen faszinierte die Frauen. Es war auch seine Nase. (In Bd. XIV gibt Oswald mit offenkundigem Genuss den Wortlaut eines Briefchens wieder, das er von einer gewissen Dame erhielt, die darin solche und ähnliche Einzelheiten mit großer Genauigkeit beschreibt.) Anscheinend passierte, wenn Oswald Feuer fing, etwas Merkwürdiges mit seinen Nasenflügeln. Sie zuckten und strafften sich, und dabei weiteten sich seine Nasenlöcher und gaben ein Stück des hellroten Inneren frei. Das verlieh seinem Gesicht einen sonderbar wilden, animalischen Ausdruck, und wenn die Beschreibung dieses Vorgangs auch nicht sehr anziehend klingen mag, so war doch der Effekt auf die Damen elektrisierend.
     
Fast ausnahmslos fühlten sich die Frauen zu Oswald hingezogen. Er war vor allem anderen ein Mann, der sich um keinen Preis binden wollte, und das allein schon machte ihn begehrenswert. Rechnet man seinen überragenden Intellekt, seinen bestrickenden Charme und seine sagenumwobene Potenz hinzu, so ergibt das eine geradezu unwiderstehliche Kombination.
     
Doch wollen wir für einen Augenblick die anrüchige und zügellose Seite vergessen, um festzustellen, dass noch eine Reihe anderer überraschender Aspekte Oswald zu einer recht faszinierenden Gestalt machten. So gab es zum Beispiel nur sehr wenig, das er nicht über
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