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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe
Autoren: Petra Hulova
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vorbeijagte, etwaige Anwärter nicht besonders gut in Augenschein nehmen.
    Nara und ich sengten uns die Haarspitzen ab und beteten so gut wie möglich, Magi wollte gewinnen, und das war das Einzige, was wir dafür tun konnten.
    Die Naadam-Wiese liegt nördlich des Zentrums unserer Hauptstadt. An einer Seite wird sie von der Tuul begrenzt, einem Fluss, in dem nie jemand badet, seine Ufer sind ständig von Frauen besetzt, die Teppiche einweichen und die bunten Ornamente mit Bürsten scheuern. Auf der anderen Seite befindet sich neben der Wiese der Fleischmarkt, ein Tuchzelt, darin Unmengen Fliegen und Haken voller Hammeltalg.
    Zum Naadam fuhren wir alle.
    Auch Ojuna wollte wichtig sein, und so erschwindelte sie sich die Teilnahme am Rennen der fünfjährigen Kinder, versteckte sich dann aber kurz vor dem Start zwischen den Wasserfässern für die Pferde, und wir verpassten wegen der
fieberhaften Suche nach ihr fast den Beginn von Magis Wettkampf.
    Magi ritt gut. Genauso, wie Papa ihr geraten hatte. Sie hetzte nicht und ließ zuerst die Zügel lose hängen, damit das Pferd sein eigenes Tempo fand. Als sie an uns vorbeiritt, hatte Mama Tränen in den Augen, und Ojuna jauchzte derart, dass sie, hätte Papa sie nicht festgehalten, zwischen die anderen Pferde gelaufen wäre und sie so scheu gemacht hätte, dass niemand Magi hätte einholen können. Sie hätte die Zweite oder Dritte werden können, aber dann, sie passierte gerade die Tschatsarganasträucher, geschah etwas Schreckliches. Das Pferd lief das Rennen allein zu Ende. Magi war heruntergefallen und hatte sich das Genick gebrochen. Die übrigen Pferde sprangen über Magi hinweg, Papa lief ihnen entgegen, hin zu Magi, und ich erinnere mich an die vollkommene Stille, als er sich von ihr erhob und unsere Blicke an seinem Gesicht hingen.
    Ein Tor hatte sich inmitten dieses ganzen Tumults geöffnet. Mama begann zu schreien, und ich sah die Nichtigkeit wie den Rachen einer giftigen, riesenhaften Blume, wie einen endlosen Schlund, in den die Bilder meiner Schwester fielen, zurück blieb ein leerer Raum für ein ewiges Weinen, und ich wusste, dass ich zum ersten Mal über den Rand in die Finsternis blickte und nicht taumeln durfte.

    Magi starb schrecklich schnell, und wir legten sie am nächsten Tag zwischen die Felsen an unseren Platz. Als wir nach fünfundvierzig Tagen hinkamen, war nichts mehr dort, und wir knieten alle nieder, sogar Ojuna, und nach Sonnenuntergang kehrten wir wortlos nach Hause zurück. Papa sah ich in diesen Tagen zum ersten Mal so betrunken, dass er nicht
sprechen konnte, und Mama stand am Morgen mit der Sonne auf, um mühevoll zu verrichten, wofür Papa ein Moment reichte. Erschöpft und grau im Gesicht kam sie heim, Papa hatte während der ganzen Zeit neben dem Ger gesessen oder war mit einer Flasche zu unserem Platz in den Roten Bergen geritten. Wenn er zurückkehrte, erkannten wir schon von weitem seine gekrümmte Silhouette im karminroten Deel, das Pferd wankte unter ihm, wie Papa so von einer Seite zur anderen schwankte und wirre Befehle gab.
    Einmal, als ich Argal holen ging, erblickte ich ihn an einen Felsen gelehnt. Er war schmutzig, und aus der Flasche am Boden rann ein farbloses Rinnsal, das im Gras versickerte. Er verjagte mich mit einer Handbewegung und verbarg sein Gesicht in den Händen. Ich ging weg. An diesem Abend kam Papa überhaupt nicht heim.
    Am Morgen weckte mich das Knacken von Ästchen, und als ich den Kopf hob, sah ich Papas vom Feuer beschienenes Gesicht, wie er sich niederbeugte und die Kohlenstückchen für die Budaany Schöl anblies, unser Frühstücksessen.
    An diesem Morgen ging Mama nicht zur Herde, und Papa packte die letzte Flasche und schleuderte sie hinters Ger in die Steppe.

    Als es Papa so schlecht ging, wohnte Mamas jüngere Schwester Schartsetseg eine Zeitlang bei uns. Sie machte ihrem Namen Ehre, hätte sich diese Gelbe Blume in dieser schlimmen Zeit nämlich nicht gezeigt, ich weiß nicht, was wir getan hätten.
    Schartsetsegs Gesicht strahlte die ganze Zeit, sie hatte ein sonniges Lächeln. Sie war etwas jünger als Mama, an der markanten dünnen Nase und der schlanken Gestalt mit den breiten Hüften war deutlich zu erkennen, dass sie von einem
Blut waren. Schartsetseg betreute unser Ger, solange Mama bei der Herde war, und wenn sie heimkam, rieb Schartsetseg ihr die Füße mit Milch ein und kämmte ihr den von Schweiß und Staub verklebten Zopf aus. Sie beaufsichtigte Ojuna und dachte sich für Nara und
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