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Kunst hassen

Kunst hassen

Titel: Kunst hassen
Autoren: Nicole Zepter
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Vermittlungsarbeit eingestellt, während die unteren Klassen mit ihrem Unwissen alleingelassen werden. »Es ist zweifellos nicht übertrieben zu vermuten, dass das tiefe Gefühl von Unwürdigkeit, das die weniger gebildeten Besucher, wie erdrückt von der eigenen Ehrfurcht gegenüber dem heiligen Universum der legitimen Kultur, so quälend empfinden, nicht wenig dazu beiträgt, sie vom Museum fernzuhalten.« Einen Satz, den man häufig hört, wenn man Besucher nach ihrer Meinung zu einer Ausstellung fragt: »Ich bin nur Laie, das kann ich Ihnen nicht beantworten.« Wie oft fühlte man sich selbst aus Angst vor Entblößung überfordert, eine Ausstellung zu beurteilen? Ausgrenzung ist zwangsläufige Folge der elitären Ausstellungskultur.
    Der Ursprung des Übels liegt nur wenige Schritte entfernt. Auf dem Gelände des Berliner Kulturforums befindet sich die Berliner Gemäldegalerie. Ihr Gründungsziel wurde Ende des 18 . Jahrhunderts mit einer Devise antiker Rhetorik nach Horaz ausgelobt: »Erst erfreuen, dann belehren.« Das klingt für uns eher nach einer Erziehungsanstalt statt nach einem Kunstmuseum. Was in den Gründungsjahren ein revolutionärer Gedanke war, ist heute nur noch abgeschmackte, bürgerliche Museumspädagogik. Wie fast jedes Museum besitzt es laut Selbstbeschreibung »eine der bedeutendsten Sammlungen«, in diesem Fall »eine der weltweit bedeutendsten Sammlungen europäischer Malerei vom 13 . bis zum 18 . Jahrhundert«. Das Haus spricht von rund 1000 sogenannten Meisterwerken: Bruegel, Dürer, van Eyck, Raffael, Tizian, Caravaggio, Rubens, Rembrandt, Vermeer. Wer sich im 21 . Jahrhundert durch die Häuser mit dem musealen Repertoire schleppt, ganz egal ob es das Kunsthistorische in Wien, die Gemäldegalerie in Berlin oder die Alte Pinakothek in München ist, erlebt ein Déjà-vu in jedem Haus: Inszenierung und Präsentation folgen einem seit Jahrhunderten gültigen Raster.
    Auch die Begrifflichkeit »Alte Meister« klingt wie von den Brüdern Grimm entworfen, und wer heute eine Dauerausstellung besucht, ganz egal, in welcher Stadt, also selbst in unterentwickelten Museumslandschaften wie Hamburg oder Paderborn, erlebt Geschichten, die er auswendig kennt. Großzügige Räume, tapeziert mit dicken Seidentapeten wahlweise in Bordeauxrot, Smaragdgrün oder Indigoblau, die dem Betrachter die nötige Ruhe zur kontemplativen Auseinandersetzung geben. Wenn es zu kontemplativ wird, steht in der Mitte ein lederbezogener Diwan, an dessen einem Holzbein eine Kette befestigt ist, an deren Endeein betagter Kunstführer hängt, auf dessen welligen Seiten sich wiederum resistente Bazillen seit Jahrzehnten täglich die Hand reichen. Dazwischen gehen düster blickende Damen und Herren in Uniform durch die Reihen und beäugen die Anwesenden, als habe jeder von ihnen ein Säurefläschchen griffbereit.
    Dabei sind die Räume so angeordnet, dass die Orientierung möglichst schwer fällt. Das ist dadurch bedingt, dass jeder Raum mindestens durch vier Eingänge erreichbar ist, was wiederum dazu führt, dass die verlorengegangenen Besucher die meiste Zeit in ihren Museumsprospekt vertieft sind, der sich so übersichtlich liest wie ein Strickmuster. Die Irrgärten klassischer Prägung, bei denen man ab dem fünften Raum nicht mehr rekapitulieren kann, wo man hergekommen ist und wie es weitergeht, sind das Ergebnis eines Kompromisses: Viele Besucher wollen alles sehen, andere Besucher wiederum nur wenige Werke, andere nur ein Bild. Der Weg erschließt sich einem nur durch intensives Studium der Zahlenschilder: Niederländische Kunst, dann die Deutschen Meister, hinten links Sakralkurs, aber wo in aller Welt ist der »Mann mit dem Goldhelm«?
Lustvolle Inspiration ist selten
    Im Keller des Hauses, genauer gesagt im zugigen Treppenhaus zur Studiengalerie stehen vier Computer. Auf Knopfdruck bekommt der Besucher hier die Information, die er sucht. Wo welches Bild hängt. Intuitiv aufbereitet, kinderleicht. Dass es diese Computer gibt, erfährt man nur, nachdem man mit einem bemühten, aber überforderten Ordner erfolglos mehrere Räume abgegangen ist. Der Genuss wird umso hehrer, wenn er erlitten wird. An diesem Punktkommen sich Moderne und Klassik in der ideologisch geteilten Museumslandschaft plötzlich ganz nahe. Kilometerlange Warteschlangen inklusive. Der Rahmen, in dem Museum und Publikum heute zusammenkommen, schafft eine Atmosphäre, die weder der Kunst noch dem Publikum dienlich ist. Lustvolle Inspiration oder
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