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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden
Autoren: Lew Tolstoi
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ihm zuvor.
    »Der Kaiser Alexander«, begann sie mit jenem Anflug von Traurigkeit, der immer ihre Bemerkungen über die kaiserliche Familie begleitete, »hat erklärt, daß er es den Franzosen überlasse, ihre Regierungsform zu wählen, und ich bin überzeugt, die ganze Nation wird sich in die Arme ihres legitimen Königs werfen, wenn sie einmal von dem Usurpator befreit ist.« Augenscheinlich lag es Fräulein Scherer daran, dem royalistischen Emigranten zu schmeicheln.
    »Das ist wenig wahrscheinlich«, bemerkte Fürst Andree, »die Sachen sind zu weit gegangen und ich glaube, es wäre schwierig, auf die Vergangenheit zurückzukommen.« »Wie ich hörte«, fügte Peter hinzu, »ist der größte Teil des Adels von Napoleon schon gewonnen.«
    »Das behaupten die Bonapartisten!« rief der Graf, ohne Peter anzusehen. »Die Hinrichtung des Herzogs von Enghien«, bemerkte Peter, »war eine politische Notwendigkeit, und Napoleon hat wirklich Seelengröße gezeigt, indem er die Verantwortlichkeit dafür auf sich nahm.«
    »Oh! Oh!« riefen mehrere Stimmen. Der Graf zuckte mit den Achseln. »Ich sage das«, fuhr Peter fort, »weil die Bourbonen vor der Revolution geflohen sind und das Volk der Anarchie überlassen haben. Napoleon allein hat es verstanden, die Revolution zu besiegen und deshalb durfte er sich nicht von einem einzelnen auf seinem Wege aufhalten lassen, wenn er das allgemeine Wohl im Auge hatte.«
    »Wollen Sie nicht an den andern Tisch gehen?« sagte die Hofdame, aber Peter fuhr immer lebhafter fort: »Ja, Napoleon ist groß, weil er sich über die Revolution gestellt hat, weil er ihre Mißbräuche unterdrückt und beibehalten hat, was sie Gutes hatte, die Gleichheit, die Freiheit der Presse und des Wortes, und nur dadurch hat er die Macht erlangt.«
    »Wenn er diese Macht dem legitimen König zurückgegeben hätte, ohne sie zu benutzen, um einen Mord zu begehen, dann würde ich ihn einen großen Mann nennen«, sagte der Graf.
    »Das war ihm unmöglich. Die Nation hatte ihm die Macht nur gegeben, damit er sie der Bourbonen entledigen solle. Die Revolution war ein großes Werk.« Peter bewies seine jugendliche Unbedachtsamkeit, indem er so vorgeschrittene Ideen äußerte.
    »Die Revolution ein großes Werk!... Aber wollen Sie nicht an den anderen Tisch gehen?« wiederholte die Hofdame.
    Der Fürst Andree betrachtete lächelnd bald Peter, bald den Franzosen, bald die Dame des Hauses, welche durch die Äußerungen Peters in Entsetzen geriet.
    Als sie bemerkte, daß diese lästerlichen Worte den Zorn des Grafen nicht erregten, und daß es auch nicht möglich war, sie zu ersticken, machte sie gemeinschaftliche Sache mit dem Emigranten.
    »Aber mein lieber Monsieur Pierre«, sagte sie, »ist das die Handlung eines großen Mannes, einen Herzog erschießen zu lassen, wenn er nichts begangen hat und ohne Urteil?«
    »Er ist eben ein Bürgerlicher«, fügte Fürst Hippolyt hinzu. Andere und ähnliche Bemerkungen folgten. Peter wußte nicht mehr, was er antworten sollte und blickte lächelnd um sich.
    »Wie sollte er anders handeln?« sagte plötzlich Fürst Andree, »ich sollte doch glauben, man müßte einen Unterschied machen zwischen den Handlungen eines Privatmannes und denen eines Staatsmannes.«
    »Gewiß, gewiß«, rief Peter erfreut über diese unverhoffte Unterstützung. »Napoleon auf der Brücke von Areole oder im Hospital der Pestkranken in Jaffa ist groß als Mensch, das ist nicht zu leugnen, aber andere seiner Handlungen sind schwer zu entschuldigen«, fuhr Fürst Andree fort, augenscheinlich um Peters Unbedachtsamkeit womöglich wieder gutzumachen, indem er sich erhob und seiner Frau damit das Zeichen zum Aufbruch gab.

5
    Nach diesem Zwischenfall begannen die Gäste sich zu verabschieden.
    Außer einer ungewöhnlichen Größe und einem äußerst linkischen Benehmen hatte Peter unter anderen physischen Nachteilen auch ungeheuer rote Hände. Er wußte nicht, wie er in einen Salon eintreten sollte, noch weniger, wie er es anstellen sollte, auf gute Weise abzugehen und dabei etwas besonders Angenehmes zu sagen. In seiner sprichwörtlichen Zerstreutheit hatte er anstatt seines Hutes den dreispitzigen Federhut eines Generals ergriffen. Aber all diese Mängel wurden ausgeglichen durch seine Herzensgüte, Aufrichtigkeit und Bescheidenheit.
    Fräulein Scherer begrüßte ihn zum Abschied mit christlicher Milde, die ihm ihre Verzeihung verhieß.
    »Ich hoffe«, sagte sie, »nun öfters das Vergnügen zu haben, Sie
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