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Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)

Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Andrea Schacht
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ira!
Les aristocrates à la lanterne.
    Lied der französischen Revolution
     
     
    Er hatte seinen Blick dem Dom zugewandt, aber er sah ihn nicht. Höllisch schmerzte ihn die linke Schulter, in die ihm der Scharfrichter das glühende F gebrannt hatte. Die Arme hatten sie ihm hinten um den Pfahl geschlossen, und weitere drei Stunden musste er nun noch auf dem Prangergerüst ausharren. Dabei konnte er von Glück sagen, dass er sich nicht allzu viele Feinde gemacht hatte. Bisher war niemand auf die Idee gekommen, ihn mit stinkendem Unrat zu bewerfen. Nur mitleidige Blicke oder höhnische Bemerkungen hatte er zu hören bekommen. Vor allem seine ehemaligen Kommilitonen ließen es sich nicht nehmen, an ihm vorbeizuflanieren.
    Cornelius versuchte, sie zu ignorieren. Er war sich seiner Schande nur zu bewusst. Vor drei Jahren hatte man ihn der Universität verwiesen. Er hatte den Fehler begangen, sich mit der Frau eines Professors einzulassen. Es war entdeckt worden, und mit seiner trotzigen Haltung machte er alles nur schlimmer. Doch war er nicht unglücklich gewesen, das Studium aufgeben zu müssen. Der Theologie, so hatte sein Vater verlangt, sollte er sich widmen, um der Familientradition folgend die geistliche Laufbahn einzuschlagen. Aber weder fühlte Cornelius sich zur Religion hingezogen noch zu den kirchlichen Ämtern. Obwohl sie einem jüngeren Sohn gewisse Annehmlichkeiten verschafften. Die Revolution, die Frankreich erschütterte und nun ihre Wirkung auch in Köln entfaltete, hatte indessen sowieso alles geändert. Die Geistlichkeit war ihrer reichen Pfründe verlustig gegangen, sie erhielten keine Sonderrechte mehr, keine lukrativen Anstellungen. Ja, es war sogar verboten, die Religion öffentlich zu praktizieren.
    Dennoch ergab sich ein großer Nachteil aus dem Abbruch seiner akademischen Ausbildung, denn er hatte damit den Zorn seines Vaters auf sich gezogen. Der strich ihm seine Apanage und wies ihn kurz und bündig an, er möge gefälligst selbst für seinen Unterhalt sorgen. Das wäre vermutlich nicht allzu unbequem gewesen, hätte doch sein Pate, Hermann von Waldegg, sogar ein gewisses Verständnis für sein Handeln aufbringen können und ihn weiterhin unterstützt. Nur – der Domkapitular weilte zu jener Zeit zusammen mit der hohen Geistlichkeit in Arnsberg, wohin die Domschätze kurz vor dem Einmarsch der Franzosen verbracht worden waren, um sie vor den erwarteten Plünderungen zu schützen. Cornelius fand sich mit zwanzig Jahren auf sich selbst gestellt. Findig wie er war, tat sich ihm ein Weg auf, diese Selbstständigkeit auszubauen – leider einer, der ihn ins Unglück führte. Durch Vermittlung eines Freundes begann er eine Lehre als Buchdrucker bei dem Verlag Lumscher auf dem Heumarkt. Daran fand er sogar Gefallen, vor allem die Holz- und Kupferdruck-Technik hatte es ihm angetan. Doch der Lohn, den er als Lehrling, später als Geselle erhielt, war mehr als dürftig und nicht dazu angetan, ihm seinen gewohnten Lebensstil zu finanzieren. Er besserte ihn auf ungewöhnliche Weise auf – er spielte Karten. Und zwar gut. Sein präziser, mathematisch geprägter Verstand, seine leidenschaftslose Haltung zum Spiel und seine beherrschte Miene machten ihn oft zum Gewinner. Aber die kleinen Beträge, die er Studenten oder Reisenden abnahm, reichten noch immer nicht. Er lernte von einem Franzosen, einem professionellen Spieler, wie man mit gezinkten Karten die Gewinnchancen erhöhen konnte. Gewitzt, wie er war, erschienen ihm die Methoden des Abschleifens und Einknickens der Karten zu primitiv. Lumscher stellte – nicht unter seinem Namen, aber als gewinnträchtiges Nebenprodukt – auch Spielkarten her, und hier fand Cornelius die perfekte Form, sich Kartendecks zu verschaffen, die nur für ihn sichtbare Zeichen auf der Rückseite trugen.
    Vor zwei Monaten hatte er einmal zu oft gewonnen.
    Man hatte ihn des Falschspiels überführt und angeklagt. Das F auf seiner Schulter würde ihn sein Leben lang daran erinnern, wie leichtsinnig er gewesen war.
    Ein sehr junges Mädchen in einem hellen, mit Blumen bestickten Kleid und einer Strohschute auf den goldblonden Locken schlenderte vor dem Domportal vorbei und blieb, die Augen nach oben gewandt, stehen. Ein hübsches Ding, dachte Cornelius und bemühte sich, so unscheinbar wie möglich zu werden, um nicht ihr Augenmerk auf sich zu lenken. Trotz aller Schmach und Schande, trotz aller Schmerzen und allen körperlichen Elends – hübschen Mädchen wollte er lieber
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