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Krampus: Roman (German Edition)

Krampus: Roman (German Edition)

Titel: Krampus: Roman (German Edition)
Autoren: Brom
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das Hirn aus dem Schädel zu pusten, sich den Lauf dabei aber dummerweise gerade in den Mund gesteckt. Als sie abgedrückt hatte, war die Kugel im Nacken wieder ausgetreten. Sie hatte sich die Wirbelsäule am Schädelansatz durchtrennt und die letzten drei Monate ihres Lebens als sabbernde Schwachsinnige verbracht. Seine Frau sollte ihm nicht vorwerfen können, dass er auch noch beim Abtreten Mist gebaut hatte.
    Er spannte den Hahn. Die verdammte Glühbirne blinkte immer noch, an, aus, an, aus, als wollte sie ihm sein eigenes Elend zum Vorwurf machen. Er legte den Finger an den Abzug. An, aus, an, aus, an, aus – mach schon, sagte das Licht. Jesses Hand begann zu zittern.
    »Tu es«, knurrte er, den Lauf zwischen den Lippen. »Tu es!«
    Er kniff die Augen zu, Tränen liefen ihm über die Wangen. Das Gesicht seiner Tochter erschien ihm, und er hörte ihre Stimme so deutlich, dass er beinahe glaubte, sie säße neben ihm im Auto. »Daddy? Wann kommst du nach Hause, Daddy?«
    Ein hässlicher Laut entrang sich seiner Kehle, kein richtiger Schrei, sondern ein schmerzerfülltes Gurgeln. Er nahm die Pistole aus dem Mund, sicherte sie sorgfältig wieder und legte sie neben sich auf den Sitz. Dann fiel sein Blick auf die Flasche. Eine ganze Weile starrte er sie finster an, bevor er das Fenster herunterkurbelte und sie auf eine Fichte warf. Er verfehlte den Baum, und der Whiskey kullerte durch die dünne Schneeschicht. Jesse ließ das Fenster heruntergekurbelt. Die kalte Luft auf seinem Gesicht fühlte sich gut an. Er ließ die Stirn aufs Steuer sinken, schloss die Augen und fing an zu weinen.
    »So geht das nicht weiter.«

    ***

    Jesse hörte ein Bimmeln und ein Schnauben. Blinzelnd setzte er sich auf. War er eingeschlafen? Er rieb sich die Stirn und blickte sich um. Dort, am Ende der Sackgasse, standen acht Rentiere, direkt an der Auffahrt der Tuckers. Sie waren vor einem Schlitten angeschirrt, und selbst im schwachen Schein der Lichterketten erkannte Jesse, dass es sich um einen echten Schlitten handelte und nicht um irgendwelchen Weihnachtsschmuck. Er war beinahe so hoch wie ein ausgewachsener Mann, und sein Holz war scharlachrot lackiert und mit goldenen Schnörkeln verziert. Das Gefährt ruhte auf zwei stabilen Kufen mit eleganter Krümmung.
    Jesse blinzelte mehrmals. Ich habe keine Wahnvorstellungen, und ich bin auch nicht betrunken. Ich bin nicht mal beschwipst. Eines der Rentiere scharrte im Schnee und schnaubte, und sein Atem bildete in der kalten Luft eine Wolke.
    Jesse blickte auf die Straße zurück. Die einzigen Spuren im frischen Schnee waren die seines Lieferwagens. Wo zum Teufel kommt das Ding her?
    Die Rentiere hoben alle gleichzeitig die Köpfe und spähten den Hang empor. Jesse wandte sich in dieselbe Richtung, entdeckte jedoch nichts. Dann hörte er ein Stapfen – jemand mit schweren Stiefeln, der sich schnell näherte.
    Was denn jetzt?
    Ein Mann mit weißem Bart in kniehohen Stiefeln und einem dunkelroten Weihnachtsmannkostüm mit Pelzbesatz, der einen großen roten Sack umklammert hielt, rannte so schnell er konnte über den Kiesweg – so, wie man rannte, wenn man verfolgt wurde.
    Er wurde tatsächlich verfolgt.
    Weiter oben, direkt neben Millies leuchtendem Krippenspiel, sprangen vier Männer auf die Straße. Es waren finstere Gestalten, in dunkle, zerlumpte Kapuzenmäntel gehüllt und mit Stöcken und Knüppeln in den Händen. Sie wandten die Köpfe nach allen Seiten, bis schließlich einer von ihnen den Mann im Weihnachtskostüm erblickte. Er stieß ein Heulen aus, zeigte mit seinem Knüppel auf den fliehenden Weißbärtigen, und das ganze Rudel nahm die Verfolgung auf.
    »Was zum Teufel …?«
    Der Weihnachtsmann stürmte schnaufend an Jesse vorbei auf den Schlitten zu. Seine Augen waren weit aufgerissen, seine Pausbacken gerötet, und sein Gesicht war vor Anspannung verzerrt. Er war kräftig, nicht der traditionelle beleibte Weihnachtsmann, den man sonst zu sehen bekam, sondern ein Kerl mit breitem Brustkorb und massigen Armen.
    Mit erhobenen Waffen hechtete das Rudel ihm hinterher die Straße hinab. Jesse erkannte, dass es sich bei den Kapuzenmänteln in Wirklichkeit um Fell- und Federumhänge handelte, die sich hinter den Gestalten im Wind bauschten, während sie mit weitausholenden Schritten den Abstand zu ihrer Beute verringerten. Jesse erhaschte einen Blick auf aufblitzenden Stahl und sah, dass Nägel aus den Knüppeln ragten und dass die Stöcke an den Spitzen mit tödlichen Klingen
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