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Kosmologie für Fußgänger

Kosmologie für Fußgänger

Titel: Kosmologie für Fußgänger
Autoren: H Lesch
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erste Entfernungsbestimmung zur Magellan’schen Wolke unternahm 1913 Einar Hertzsprung anhand von 13 Cepheiden. Er berechnete einen Abstand von 3000 Lichtjahren. Dieser, wie wir heute wissen, falsche Wert beruhte auf mehreren Beobachtungsmängeln und einem Druckfehler. In Wirklichkeit hatte Hertzsprung nämlich 30 000 Lichtjahre ausgerechnet. Damit aber konnte der Magellan’sche Nebel immer noch ein Bestandteil unserer Milchstraße sein. Der größte Streit unter den Astronomen des beginnenden 20. Jahrhunderts hatte begonnen: Sind die Nebel Teile der Milchstraße, oder handelt es sich um eigenständige Galaxien?
    Etwa zur gleichen Zeit als Hertzsprung seine Entfernungsberechnung bezüglich der Kleinen Magellan’schen Wolke bekannt gab, errechnete Harlow Shapley, dass die Kugelsternhaufen zwischen 50000 und 220000 Lichtjahre entfernt waren. Auch Shapley benutzte Cepheiden als Entfernungsmesser. Wenn auch die Kugelhaufen noch zur Milchstraße gehörten – und es gab für Shapley keinen Grund das Gegenteil anzunehmen -, dann mussten diese sehr viel größer sein, als man bis dahin vermutete. Shapley schätzte den Durchmesser der Milchstraße nun auf rund 300 000 Lichtjahre.
    Wie die Veröffentlichung von Hertzsprung stieß auch jene von Shapley auf große Skepsis. Die Datenlage war einfach noch zu ungenau, es gab zu wenig Cepheidenperioden. Ursprünglich war Shapley zwar ein Anhänger der Welteninseln, der Idee, dass die fernen Spiralnebel eigene Galaxien darstellten. Er änderte jedoch seine Meinung, als er seine Berechnungen einer so riesigen Milchstraße publizierte. Die Spiralnebel hätten dann ja noch viel weiter entfernt sein müssen als 300 000 Lichtjahre, eine Vorstellung, die für Shapley absurd war. So prägte Shapley den Begriff der »Big-Galaxy«, die Spiralnebel gehörten seiner Meinung nach wie die Kugelsternhaufen zur großen Milchstraße und waren keine eigenen Galaxien.
    Aber es gab Kontrahenten, der bedeutendste war Heber Curtis, und es gab gewichtige Indizien für den Galaxiencharakter der Spiralnebel. Nach Curtis’ Ansicht, der alle Cepheidenmessungen anzweifelte, war die Milchstraße viel kleiner, und die Nebel waren eigene Galaxien. Curtis hatte dort mittlerweile »neue« Sterne entdeckt – Novae, die zehnmal schwächer leuchteten als die Novae in der Milchstraße, ergo mussten sie auch eine hundertfache Entfernung haben!
    Vesto Slipher lieferte einen weiteren Baustein zur Eigenständigkeit der mysteriösen »Nebel«. Er hatte einige Spektren der Spiralnebel aufnehmen können und dabei entdeckt, dass die Spektrallinien eine »Dopplerverschiebung« zeigten. Dieser Effekt ist aus der irdischen Physik sehr gut bekannt. Der Ton einer Schallquelle, die sich auf uns zubewegt, wird höher, und wenn sie sich von uns wegbewegt, wird er tiefer. Das Gleiche gilt für elektromagnetische Wellen, also auch für Licht und dessen Spektrallinien. Die Linien werden ins Kurzwellige verschoben, wenn die Lichtquelle sich auf uns zubewegt, und ins Längerwellige, wenn sie sich von uns entfernt. Letzteres ist bekannt geworden als Rotverschiebung, in Analogie zu der Tatsache, dass das rote Licht das langwellige Ende des sichtbaren Bereichs bildet. Bewegen sich Objekte auf uns zu, so sagt man auch: Das Licht wird blau verschoben, denn das blaue Licht stellt den kurzwelligen Teil des sichtbaren Lichtes dar.
    Doch wo waren wir? Ach ja, bei Vesto Slipher. Anhand der Dopplermethode konnte er berechnen, dass sich der Andromedanebel mit 600 Kilometern pro Sekunde auf die Milchstraße zu(!)-bewegt – die höchste Geschwindigkeit, die man je für ein Objekt am Himmel gemessen hatte. In den Jahren danach entdeckte Slipher an 15 anderen Spiralnebeln jedoch etwas für ihn völlig Unverständliches: Diese entfernten sich nämlich von der Milchstraße, und zwar einige schneller, als Andromeda sich der Milchstraße näherte. Diese Rotverschiebung blieb für ihn und seine Zeitgenossen rätselhaft, und es sollten noch zehn Jahre vergehen, bis sie das Gebäude der Astronomie erschütterten. Von den Galaxienbefürwortern wurden Sliphers Erkenntnisse jedoch als wichtiger Beweis für die Richtigkeit ihres Modells gefeiert. Ihrer Ansicht nach konnten die Fluchtgeschwindigkeiten dieser Objekte niemals so hoch sein, wenn sich die Spiralnebel im Anziehungsbereich der Milchstraße befanden.
    Die Lage war also recht verwickelt. Miss Leavitt hatte zwar die Cepheiden zu Standardkerzen erhoben, die es ohne Zweifel gestatteten, Entfernungen zu
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