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Kommissar Stefan Meissner 01 - Eine schoene Leich

Kommissar Stefan Meissner 01 - Eine schoene Leich

Titel: Kommissar Stefan Meissner 01 - Eine schoene Leich
Autoren: Lisa Graf-Riemann
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wir hinkamen, konnten wir den Lärm schon im Treppenhaus hören. Wir klingelten mehrmals, bis uns schließlich ein vielleicht zehnjähriges Mädchen öffnete. In der Wohnung fanden wir eine junge Frau mit blutverschmiertem Gesicht. Sie lag am Boden und krümmte sich. Die Arme hatte sie um den Bauch geschlungen, als hätte sie Angst, sie könne etwas verlieren, wenn sie losließe. Der Mann, offenbar ihr Freund, mit dem sie die Wohnung teilte, sagte, sie hätten Streit gehabt, und da sei ihm die Hand ausgerutscht, nichts Schlimmes. Wir haben die Frau dann gleich ins Klinikum gebracht.«
    »Ist sie Deutsche?«, fragte Meißner, als sie auf den Parkplatz hinaustraten.
    Rosner blätterte in ihren Unterlagen. »Polin«, sagte sie, »vierundzwanzig, und erst seit zwei Monaten in Deutschland.«
    »Und der Typ?«
    »Thomas Schneider, achtundzwanzig, arbeitet bei Audi. Das Mädchen in der Wohnung war seine Tochter, sagt er.«
    »Hat sie auch etwas abbekommen?«, fragte Meißner. Kurz überlegte er, ob er seiner Mitfahrerin die Beifahrertür aufhalten sollte, entschied sich aber dann dagegen. Schließlich waren sie im Dienst. Sie stiegen gleichzeitig ein.
    »Sah nicht so aus«, sagte sie. »Das Mädchen war unverletzt, aber wir haben trotzdem das Jugendamt informiert. Da müsste heute schon jemand bei der netten kleinen Familie vorbeigeschaut haben. Die Tochter wirkte verschlossen, fast verstockt. Sie sah nicht so aus, als ob sie mit der jungen Frau am Boden besonders mitgelitten hätte.«
    »Sie scheinen sie ja nicht gerade in Ihr Herz geschlossen zu haben.«
    Meißner sah, wie Rosners Blick kritisch über den von Kaugummi- und Bonbonpapieren überquellenden Aschenbecher wanderte und scheinbar interessiert bei der Ablage der Mittelkonsole hängen blieb, die mit kaputten Kugelschreibern, zusammengeknüllten Zetteln, hüllenlosen CD s, ungeöffneter Werbepost und angebissenen Schokoriegeln, die schon verschiedene Aggregatzustände angenommen hatten, vollgestopft war. Man konnte es nicht anders nennen. Oh nein, das hier war nicht gerade das Zeugnis einer souveränen Lebensführung und eines reifen Charakters. Eher schon sah es aus wie im ersten Auto eines trotzigen Jugendlichen, der seiner Mutter verboten hatte, bei ihm aufzuräumen, und der sich selbst nicht dazu durchringen konnte, einen knallharten Strich zu ziehen und sich dem Unvermeidlichen zu stellen: Aufräumen, Saubermachen und Müll entsorgen.
    »Mögen Sie die Stücke der Fleißer?«, fragte Meißner, um die junge Kollegin bei den Folgerungen, die sie aus ihren Beobachtungen möglicherweise ziehen würde, zu stören.
    »Wie?«, fragte sie.
    Gerade hatte er sich eingebildet, sie habe in dem überfüllten Fach in der Beifahrertür die vinzenzmurr-Papiertüten entdeckt, die noch nach ihrem ehemaligen Inhalt – Leberkässemmeln mit scharfem Senf – rochen. Möglicherweise hatten sie auch ein ähnliches Schicksal wie die Schokoriegel erlitten.
    »Ach so«, sagte sie und bewahrte ihn somit wenigstens kurzfristig vor weiteren peinlichen Feststellungen. »Meinen Vornamen hat sich meine Mutter ausgedacht, nicht ich. Sie unterrichtet am Christoph-Schreiner-Gymnasium. Aber mein Vater war dagegen, von den Ingolstädtern mögen ja längst nicht alle ihre berühmteste Schriftstellerin. Meine Mom hat sich gegen seinen Willen durchgesetzt.«
    »Und Sie wollten nicht Lehrerin werden?«
    »Ich wollte Polizistin werden. Nicht unbedingt in Ingolstadt, aber nun bin ich eben doch hier.«
    »Manche Menschen verhalten sich zu Ingolstadt wie ein Bumerang. Als junge Leute rennen sie davon, machen einen weiten Bogen um die feuchte, flache Donauebene, und dann zieht es sie doch wieder zurück.«
    Sie wollte noch nachfragen, ob er von sich selbst sprach, aber da waren sie schon am Klinikum angekommen, und Meißner freute sich, dass er es fürs Erste erfolgreich geschafft hatte, seine Kollegin von den peinlichen Schmuddelecken in seinem Wagen abzulenken.
    Die Klinik war ein riesiger Gebäudekomplex inklusive Hubschrauberlandeplatz und allem dazugehörigen Pipapo. Mit dreitausend Mitarbeitern war sie außerdem der zweitgrößte Arbeitgeber der Stadt.
    Auf der Station sprachen sie zuerst mit dem diensthabenden Arzt.
    »Schläge ins Gesicht, auf die Nase, gegen die Brust. Aber keine Brüche. Rippenprellung links. Hämatome an beiden Schienbeinen. Ach ja, und die Frau ist schwanger, dritter Monat.«
    Sie betraten das Zimmer, nachdem sie angeklopft hatten. Rosner zeigte auf die junge dunkelhaarige
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