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Kommissar Morry - Terror um Mitternacht

Kommissar Morry - Terror um Mitternacht

Titel: Kommissar Morry - Terror um Mitternacht
Autoren: Hans E. Koedelpeter
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ernüchterte sie. Geistererscheinungen pflegen nicht zu klingeln. Sie ging auf die Tür zu und öffnete. Von draußen fegte ein scharfer, heftiger Windstoß herein, so wild und unvermittelt, daß die Kerzen des Leuchters erloschen.
    „Ich mache Licht“, sagte Chloe, aber sie hörte in dem Brausen und Toben des Sturmes die eigenen Worte nicht. Im Dunkel stolperte sie einige Schritte zur Wand. Sie war erleichtert, als sie den Lichtschalter fühlte. Sie drückte ihn herab und wandte sich um.
    Der Mann war gerade dabei, die Tür hinter sich zu schließen. Es verursachte ihm einige Mühe, denn er mußte sich mit dem ganzen Körpergewicht gegen den Sturm stemmen. Chloe sah, daß er Roger ähnlich war... zumindestens was die Körpergröße und die dunkle Haarfarbe anbetraf. Aber das war auch alles. Der Fremde trug einen Regenmantel, von dem es in kleinen, dünnen Bächen auf den alten, schäbigen Teppich tropfte. Er öffnete den Mantel und schüttelte sich ein wenig, als er sich ihr zuwandte.
    „Sauwetter!“ stellte er fest.
    Chloe betrachtete ihn.
    Sie brauchte nicht auf die Uhr zu blicken, um zu wissen, daß es ungefähr Mitternacht sein mußte. Wie war der Fremde um diese Zeit und bei diesem Wetter hier herauf gekommen? Der letzte Bus traf am Nachmittag im Dorf ein. Er schien ihre Gedanken zu erraten.
    „Ich bin mit dem Wagen gekommen... per Anhalter.“
    „Was wünschen Sie?“
    „Ich habe gehört, bei Ihnen sind noch Zimmer frei."
    „Von wem haben Sie das gehört?“
    „Man erzählte es im Dorf.“
    „Sind Sie ein Vertreter?“
    Er sah sie verwundert an.
    „Was bringt Sie auf diesen Gedanken?“
    Chloe beantwortete die Frage nicht. Sie hatte auch schon vergessen, warum sie sie gestellt hatte. Vielleicht einfach deshalb, weil noch niemals ein junger Mann darum gebeten hatte, in diesem Haus übernachten zu dürfen.
    „Kommen Sie mit. Legen Sie Ihren Mantel ab. Sie sind ja völlig durchnäßt. Ich wußte nicht, daß es so stark regnet.“
    Er zog den Mantel aus und blickte sie an. Dann schaute er sich in der muffigen Halle um.
    „Da drüben ist die Garderobe", bemerkte Chloe und wies mit der Hand in eine dunkle Ecke. Er verschwand und tauchte sofort wieder auf. Sie schätzte das Alter des neuen Gastes auf etwa dreißig Jahre. Er war sorgfältig gekleidet. Seine schmalen, braunen Halbschuhe hatten freilich bei dem Fußmarsch durch den Regen erheblich gelitten. Sie sahen recht mitgenommen aus. Auch die Bügelfalten der Hose hatten dem Regen und der Nässe weichen müssen. Chloe ging voran. Während sie im Speisezimmer Licht machte, überlegte sie verwundert, aus welchem Grund er ohne Gepäck gekommen sein mochte. Wo hatte er seine Toilettensachen und die Wäsche? Er war nicht einmal in der Lage, die nassen Socken zu wechseln.
    „Ich mache Ihnen einen Tee“, sagte Chloe. „Es geht schnell. Der wird Ihnen gut tun.“
    Der Fremde nickte und schaute sie an. Sie ist schön, dachte er. Was, um alles in der Welt, tut sie in dieser gottverlassenen Gegend? Ich würde nicht einmal einen Hund hier leben lassen. Dann sah er die beiden Ringe an ihrer Hand. Es überraschte ihn. Sie sah so jung und mädchenhaft aus, daß er ohne Ringe nie auf den Gedanken gekommen wäre, sie könnte eine Witwe sein.
    Chloe erwiderte seinen Blick, ganz kurz nur, dann wandte sie sich ab und eilte in die Küche. Sie setzte den Teekessel auf den Herd und stellte verwundert fest, daß ihr Herz noch immer sehr viel rascher schlug, als es sonst seine Gewohnheit war. Lag es daran, daß sein plötzliches Auftauchen ihr für Sekunden die Illusion gegeben hatte, Roger sei zurückgekehrt? Unsinn. Das war es nicht. Aber er war Roger fraglos auf seltsame Weise ähnlich. Nicht einmal im Aussehen. Aber in den Bewegungen, in der Knappheit der Sprache, im mysteriösen Dunkel des Blicks. Etwas in seinem Wesen stimmte mit Roger überein. Als sie zurückkam, stand er vor dem breiten, eichenen Büfett und betrachtete das darüberhängende Bild. Es war ein goldgerahmter Druck. Edelkitsch. Sie hatte das Bild nie leiden können und fragte sich, was ihn dazu bewegte, den Druck so fasziniert anzuschauen. Aber als sie an ihm vorbeiging, um die Kanne auf den Tisch zu steh len, bemerkte sie, daß er nur die Wand anstarrte.
    Plötzlich war er ihr ein wenig unheimlich, und sie fragte sich, welche Gründe ihn bewogen haben mochten, bei diesem Wetter und mitten in der Nacht hier herauf zu kommen.
    „Darf ich Sie einen Moment stören?“ fragte sie höflich. „Ich muß
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