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Kochlowsky 1: Vor dieser Hochzeit wird gewarnt

Kochlowsky 1: Vor dieser Hochzeit wird gewarnt

Titel: Kochlowsky 1: Vor dieser Hochzeit wird gewarnt
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Dann stob der Schnee auf, und der Schlitten glitt weg in die Dunkelheit.
    »Was sollen wir tun?« fragte Wanda bedrückt. »Ihm helfen?«
    »Ihm nicht!« Reichert zog die Gardine vor das Fenster. »Aber Sophie …«
    Breiten wir ein Tuch über den Heiligen Abend in der Remisenwohnung.
    Es war fürchterlich!
    Jakob Reichert trat ins Wohnzimmer, beide Arme voller Geschenkpakete, und sang schon in der kleinen Diele lauthals: »Oh, du fröhliche, oh, du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit …« Da fiel sein Blick auf den im Kerzenschmuck leuchtenden Weihnachtsbaum, auf die ebenfalls singende Wanda in einem langen festlichen Kleid und auf das unter dem Baum stehende, von einem Goldrahmen umgebene Ölgemälde.
    Er ließ alle Pakete fallen, Wanda beendete ihren Gesang mit einem hohen spitzen Aufschrei, die Augen quollen Reichert fast aus dem Kopf, sein Blick wechselte mehrmals und immer schneller zwischen Wanda und dem Bild hin und her, dann sagte er heiser:
    »Welch eine Sauerei! Mein Herz! Ich bekomme einen Herzschlag! Das überlebe ich nicht!«
    Er sank auf den nächsten Stuhl, pumpte Luft in sich hinein und röchelte: »Den Landauer bringe ich um!«
    Erst am nächsten Morgen, nach einer Nacht voller Tränen, war Reichert bereit, Erklärungen entgegenzunehmen und die Entstehungsgeschichte des Gemäldes zu rekonstruieren. Er begriff, daß es von Wandas Seite eines großen Opfers bedurft hatte, weil sie eine, wie sie meinte, gute Tat begehen wollte.
    »Was soll damit geschehen?« fragte Jakob schließlich. »Das kann man doch nicht aufhängen. Nein, auch nicht über dem Bett! Auch ins Schlafzimmer kommen mal fremde Leute. Aus dem Gedächtnis, aus der Phantasie will Landauer dich gemalt haben? Ein Genie, der Louis! Sogar den Leberfleck unter deiner linken Brust hat er geahnt … Er muß magische Augen besitzen!«
    Nach den darauf sehr stillen Feiertagen fand Reichert eine Lösung. Er kaufte in Pleß ein Bismarck-Bild, einen Buntdruck in der Größe des Gemäldes, und spannte es darüber. Dann hängte er es ins Wohnzimmer und sagte giftig zu Wanda: »Sieh dir das an: Sogar Bismarck liegt auf dir!«
    Eugen Kochlowsky hielt sein Versprechen. Mit dem sorgfältig in Pappe verpackten Porträt von Sophie reiste er am 23. Dezember nach Ratibor und von dort mit einem Schlitten zum Gut Lubkowitz.
    Er kam unangemeldet und fand seinen Bruder Leo allein im Verwalterhaus, umgeben von Akten, Bierdunst und Zigarrenqualm. Kein Weihnachtsbaum, kein geschmückter Tannenzweig, keine festliche Dekoration … Zwischen graugestrichenen Wänden hockte Leo auf einem harten Stuhl und rechnete die Zahlenkolonnen der letzten drei Jahre nach. Er war einer Unkorrektheit auf der Spur. Die Buchführung des Gutes stimmte nicht, seit Jahren war falsch abgerechnet worden.
    »Es kann gar nicht so einsam sein«, sagte Kochlowsky, als er aufblickte und seinen Bruder Eugen hereinkommen sah, »als daß einen die Ratten nicht doch fänden!«
    »Es ist erfreulich, daß du deinen persönlichen Stil noch nicht verlernt hast!«
    Eugen warf die Tür zu, stellte sein Gepäck ab und lehnte das verschnürte Bild gegen die Wand. »Man wird im nächsten Jahr einen Roman von mir abdrucken.«
    »Das habe ich erwartet! In Deutschland verfallen Geist und Sitte immer mehr.« Leo Kochlowsky dehnte seinen schmerzenden Rücken. Im trüben Licht sah sein Gesicht fahl und viel älter als sonst aus. »Was willst du hier? Eine Ode auf die Kartoffel schreiben?«
    »Ich will mit dir Weihnachten feiern.«
    »Wann und wo ist Weihnachten?«
    »Morgen und hier!« Eugen machte eine weite Handbewegung. »Ich verspreche dir: Ein Engel wird im Raum sein!«
    »Ein Rindvieh ist schon da!« sagte Kochlowsky voller Bitterkeit.
    »Such dir oben ein Bett, Eugen, mach, was du willst, aber laß dich hier unten nicht blicken, sondern geh mir aus dem Weg!«
    »Und wie ist es mit dem Essen?«
    »Eine polnische Haushälterin kommt täglich für ein paar Stunden.«
    »Das ist ein Lichtblick.« Eugen rieb sich die Hände. »Brüderchen, wir werden am Heiligen Abend eine gefüllte Gans haben. Gefüllt mit Äpfeln und Maronen! Und Rotkraut und Klöße!«
    »Nenn mich nicht immer Brüderchen!« schrie Leo. »Ich bin vierunddreißig Jahre alt!«
    »Ein Jüngling mit schwarzgescheiteltem Haar!«
    »Hast du in Nikolai keine Kohlen für deinen Ofen?«
    »Ach, Nikolai. Wer denkt daran …«
    »Also wieder pleite?« Kochlowsky winkte ab. »Du kannst hierbleiben, solange du willst, Eugen. Du wirst in einer
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