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Kindergeschichten (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Kindergeschichten (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Kindergeschichten (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Peter Bichsel
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der nichts mehr wissen wollte, nachzudenken. Er konnte wirklich kein Chinesisch, und es nützt ihm nichts, zu sagen: »Ich will auch das nicht mehr wissen«, weil er es ja noch gar nicht wußte.
    »Ich muß zuerst wissen, was ich nicht wissen will«, rief der Mann und riß das Fenster auf und öffnete die Läden, und vor dem Fenster regnete es, und er schaute in den Regen.
    Dann ging er in die Stadt, um sich Bücher zu kaufen über das Chinesische, und er kam zurück und saß wochenlang hinter diesen Büchern und malte chinesische Schriftzeichen aufs Papier.
    Und wenn Leute zu Besuch kamen und die Frau nach ihrem Mann fragten, sagte sie: »Das ist nämlich so, er lernt jetzt Chinesisch, so ist das nämlich.«
    Und die Leute kamen nicht mehr zu Besuch.Es dauert aber Monate und Jahre, bis man das Chinesische kann, und als er es endlich konnte, sagte er:
    »Ich weiß aber immer noch nicht genug.
    Ich muß alles wissen. Dann erst kann ich sagen, daß ich das alles nicht mehr wissen will.
    Ich muß wissen, wie der Wein schmeckt, wie der schlechte schmeckt und wie der gute.
    Und wenn ich Kartoffeln esse, muß ich wissen, wie man sie anpflanzt.
    Ich muß wissen, wie der Mond aussieht, denn wenn ich ihn sehe, weiß ich noch lange nicht, wie er aussieht, und ich muß wissen, wie man ihn erreicht.
    Und die Namen der Tiere muß ich wissen und wie sie aussehen und was sie tun und wo sie leben.«
    Und er kaufte sich ein Buch über die Kaninchen und ein Buch über die Hühner und ein Buch über die Tiere im Wald und eines über die Insekten.Und dann kaufte er sich ein Buch über das Panzernashorn.
    Und das Panzernashorn fand er schön.
    Er ging in den Zoo und fand es da, und es stand in einem großen Gehege und bewegte sich nicht.
    Und der Mann sah genau, wie das Panzernashorn versuchte zu denken und versuchte, etwas zu wissen, und er sah, wie sehr ihm das Mühe machte.
    Und jedesmal, wenn dem Panzernashorn etwas einfiel, rannte es los vor Freude, drehte zwei, drei Runden im Gehege und vergaß dabei, was ihm eingefallen war, und blieb dann lange stehen – eine Stunde, zwei Stunden – und rannte, wenn es ihm einfiel, wieder los.
    Und weil es immer ein kleines bißchen zu früh losrannte, fiel ihm eigentlich gar nichts ein.
    »Ein Panzernashorn möchte ich sein«, sagte der Mann, »aber dazu ist es jetzt wohl zu spät.«Dann ging er nach Hause und dachte an sein Nashorn.
    Und er sprach von nichts anderem mehr.
    »Mein Panzernashorn«, sagte er, »denkt zu langsam und rennt zu früh los, und das ist recht so«, und er vergaß dabei, was er alles wissen wollte, um es nicht mehr wissen zu wollen.
    Und er führte sein Leben weiter wie vorher.
    Nur, daß er jetzt noch Chinesisch konnte.
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