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Kinder des Wassermanns

Titel: Kinder des Wassermanns
Autoren: Poul Anderson
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gehen, ja? Aber in dieser Nacht ... nach allem, was zwischen uns geschehen ist ... ich bin müde bis ins Mark. Laß uns einfach schlafen. Du verstehst, nicht wahr, Ingeborg? Du hast immer verstanden.«
     
    Das andere Zimmer war ihr Schlafzimmer.
    Als sie sich, sobald er gleichmäßig atmete, von seiner Seite gestohlen hatte, entzündete sie einen Holzspan an dem mit Asche bedeckten Feuer und brannte damit eine Wachskerze an. Mit ihr kehrte sie zurück. Sie gab ihr genug Licht, daß sie sehen konnte.
    Er brauchte keine Decken; er lag auf seiner rechten Seite auf dem Strohsack, unbekleidet. Die Muskeln seines ganzen Körpers bildeten dunkle Höhlungen, die sich bewegten, wenn sein Brustkorb sich hob und senkte. Eine Haarlocke war ihm in die Stirn gefallen, eine andere kräuselte sich neben dem Kinn. Blinde Ruhe lag auf seinem Gesicht. In seine Armbeuge kuschelte sich die Katze und schnurrte.
    Selbst nackt – sie fühlte die Binsen unter ihren Füßen, hörte sie rascheln, fing eine Spur ihres süßen Geruchs auf, der den Bruchstellen entströmte – , so trat sie vorsichtig neben das Bett. Sie hatte das Kruzifix von der Wand genommen. Von seinem Holzpflock hing der Talisman.
    (»Leg ihn ab«, hatte sie gedrängt. »Dieses eine Mal, damit du dich in deinen eigenen Träumen ungestört ausruhen kannst.«
    »Sie würde sich einsam fühlen.”
    »Dir ist anzusehen, daß die Natur sich rächt. Würde Nada nicht wollen, daß du dich erholst?«)
    Länger als ein paar Herzschläge lang durfte sie ihn nicht betrachten. Er konnte aufwachen. Sie faßte das Amulett an seinem Lederriemen, schlüpfte wieder hinaus und schloß die Tür hinter sich. Draußen konnte sie unbesorgt stehenbleiben und im Licht der Kerze, die sie mit der linken Hand hielt, das Ding in ihrer Rechten ansehen.
    Alles andere wich zurück. Das Knochenstück war leicht und doch so schwer wie die Welt. Das dunkle Elfenbein wurde zu einem ganzen Himmel, der sein Dach über sie spannte, und vor der Sichel des Monds flog der dunkelköpfige Vogel dahin. Sie war das Meer. Es schloß sie von jedem Geräusch ab, es erzeugte eine Stille, die durch sie nieder-schneite, sie mit Kühle durchdrang, bis es in der Schöpfung nichts mehr gab außer einem großen Horchen, und das war sie selbst.
    Als die Stille vollständig war, hörte sie in ihrem Geist wie ein ersterbendes Echo: ... Wer bist du? Was willst du? ... Ich bin Ingeborg, deine Schwester, die ihn ebenfalls liebt.
    Sie stellte die Kerze auf einen Leuchter, schob sich den Lederriemen über den Kopf, strich ihr Haar beiseite, bis das Knochenstück auf ihrem Busen lag. Sie teilte ihre Brüste, damit es an ihrem Herzen ruhen konnte. Ihre Hände umschlossen es.
    Deutlich entstand in ihr ein Lied der Sehnsucht: ... Ingeborg. Ja. Du hast gehabt, was ich wohl nie haben werde. Ich freue mich, dich kennenzulernen. Er denkt immerzu an dich. (Überraschung) Was, das wußtest du nicht? Nun, er tut es.
    (Später) ... Doch er ist dein, Nada.
    .... Er sollte es nicht sein. Wenn ich es vorausgesehen hätte, wäre ich vor ihm geflohen ... hoffe ich. ... Aber jetzt kann ich es nicht mehr. ... Natürlich nicht.
    (Später, schüchtern) ... Ingeborg?
    ... Ja?
    ... Ich habe Angst, Ingeborg. Nicht um mich, wirklich nicht. Um ihn. Du weißt, was er tun will.
    Aye. Was meinst du, warum ich mit dir spreche?
    ... Aber ... du? (Entsetzt) Nein! Das darf ich nicht!
    ... Warum nicht?
    ... Ich bin verdammt.
    ... Und?
    ... Nicht du auch noch. Ich könnte es nicht.
    ... Nicht einmal, wenn es mein sehnlichster Wunsch ist? fragte Ingeborg in das Weinen hinein.
    ... Es kann nicht sein. Du hast den Himmel zu erwarten. ... Was bedeutet mir der Himmel ohne ihn?
    ... Wir wissen nicht, was aus uns werden wird ... aus dir – mir ... am Jüngsten Tag.
    Ingeborg hob den Kopf. Kerzenlicht glühte feurig auf ihr. ... Kümmert es dich?
    ... Es sollte. Deinetwegen.
    ... Nada, komm zu mir. (Mit der Kraft des Lebendigseins.) Wir werden das Weib Tauno Krakentöters sein.
     
    Doch es war ein Augenblick, da Ingeborg auf die Knie fiel. Die Binsen waren zur Seite gerutscht, und sie spürte den kalten Lehmboden. »Maria«, flüsterte sie, »es tut mir leid, wenn du meinetwegen weinst.«
     
    Sie schritt aus dem schlafenden Dorf hinunter an den Strand. Die dänischen Nächte waren kurz geworden, aber sie waren immer noch dunkel. Im Osten hatten Gewitterwolken ihren Zorn anderswo entladen, und der Geist der Morgendämmerung ließ die Sterne erblassen. Am ganzen übrigen
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