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Kinder der Apokalypse

Kinder der Apokalypse

Titel: Kinder der Apokalypse
Autoren: Terry Brooks
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mich angeschaut hat?« Sie schüttelte den Kopf. »Was ist nur aus ihr geworden?«
    Er zog die Zehen seiner Tennisschuhe über den Beton. »Vielleicht hast du vorhin eine Seite von ihr gesehen, von der du nicht wusstest, dass es sie gibt.«
    Sie schloss die Augen. »Ich wünschte, ich hätte sie nie so erlebt. Ich werde nie vergessen, wie ich mich gefühlt habe. Vor all diesen Leuten. Vor dir. Ich werde es nie vergessen.«
    Hawk schwieg, beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf die Knie und starrte seine Füße an. Er atmete den Geschmack und den Geruch der Bucht ein, der Kälte, die vom Wasser kam, und der Schärfe der hereinbrechenden Nacht. Das Jahr neigte sich langsam dem Ende zu, und da die Jahreszeiten sich nicht mehr auf eine vorhersehbare Weise verhielten, fehlte es ihnen an Identität der Art, die die Menschen einmal gekannt hatten. Dennoch konnte er den Biss des Winters in der Luft spüren. Er beobachtete, wie die Sonne sich auf die Berge im Westen zubewegte. Bald würde es so weit sein. Er sah sich um, dachte wieder an Flucht, suchte nach einem Ausweg. Aber es gab keinen. Ein Dutzend Wachen stand ganz in der Nähe. Alle Ausgänge an der Mauer waren versperrt. Sie waren nicht gefesselt und hätten versuchen können, sich loszureißen, aber danach würden sie trotzdem so gut wie keine Chance haben. Man würde sie sofort packen und wieder zu ihren Plätzen zerren. Der einzige offene Weg führte über die Mauer.
    Er sah Tessa an, und die weiche Linie ihres Gesichts trieb ihm Tränen in die Augen. Es schien unmöglich, sich vorzustellen, dass sie sterben würden.
    »Gibt es ein Kind?«, fragte er.
    Sie schüttelte den Kopf. »Das habe ich nur gesagt, um Zeit zu schinden, damit sie noch einmal darüber nachdenken, was sie vorhaben.«
    Er nickte. »Es war ein guter Versuch.«
    »Es war Zeitverschwendung. Sie hatten ihre Entscheidung bereits getroffen.«
    »Selbst, wenn wir verheiratet gewesen wären, nehme ich an.«
    »Selbst dann.«
    »Ich hätte dich geheiratet, wenn das die Dinge geändert hätte. Wenn sie uns gelassen hätten.«
    »Diese Entscheidung steht nicht ihnen zu, sondern uns.«
    Die Schärfe in ihrer Stimme überraschte ihn. »Wir haben zu lange gewartet«, sagte er.
    Sie schloss ihre Hand um sein Handgelenk. »Nein, das haben wir nicht.« Ihr Flüstern war eindringlich. »Wir haben immer noch Zeit. Sag die Worte zu mir.« Sie sah ihn mit flehenden Augen an. »Sag, dass du mich zu deiner Frau nimmst.«
    Er zögerte, dann wiederholte er: »Ich nehme dich zu meiner Frau.«
    »Und ich nehme dich zu meinem Mann«, erklärte sie.
    Er sah sie an. »Ich will nicht, dass sie uns von der Mauer werfen. Ich will nicht, dass sie uns anfassen.«
    Sie nickte. »Ich weiß.«
    Er packte ihre Hand fester. »Ich will, dass wir springen.«
    Sie starrte ihn verblüfft an. »Springen?«
    »Bevor sie uns werfen können. Bevor sie uns berühren können. Ich will, dass wir es selbst machen. Ich will, dass wir frei sind.«
    Sie setzte dazu an, etwas zu sagen, aber die Worte schienen ihr in der Kehle stecken zu bleiben. Sie hatte neue Tränen in den Augen. »Ich glaube nicht, dass ich das tun kann«, flüsterte sie.
    Er schaute dorthin, wo mehrere Vögel am bunt gestreiften Himmel dahinflogen. Einer von ihnen, dachte er, war vielleicht ein Namensvetter. Er wollte selbst fliegen, wollte sich über alles erheben, irgendwohin aufbrechen, wo man ihn niemals erreichen konnte.
    Er holte tief Luft. Es gab keine Rettung. Niemand kam. Auf einer Seite drängten sich vier Wachen um den Vorsitzenden des Lagers, einen Mann namens Cole, der Hawk zuvor gesagt hatte, dass das, was geschehen würde, ihm leidtäte, der das aber nicht ernst gemeint hatte. Die Männer flüsterten miteinander und warfen hin und wieder Blicke in ihre Richtung. Sie machten sich bereit, die Strafe auszuführen.
    Er sah Tessa noch einmal an. »Jetzt«, sagte er.
    Sie umklammerte fest sein Handgelenk. »Ich kann das nicht.«
    »Ich liebe dich, Tessa«, sagte er.
    »Ich liebe dich auch.« Sie senkte den Kopf in den Schatten. »Aber ich kann das nicht.«
    »Schau einfach nicht hin. Halte dich einfach fest.«
    Es war zu spät. Die Wachen kamen auf sie zu, und selbst im schwächer werdenden Licht waren ihre finsteren Mienen deutlich zu erkennen. Hawk wollte aufstehen, versuchte, Tessa mit sich zu ziehen, aber sie weigerte sich zu folgen, blieb sitzen, wo sie war, und weinte leise. Die Wachen packten sie an den Schultern, rissen sie hoch und begannen, sie
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