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Killerspiel

Killerspiel

Titel: Killerspiel
Autoren: Michael Marshall
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wie ich stark vermutete, nur eine Vorstadtlegende war.
    Unsere Tischreservierung war mir immer noch ein Rätsel. Ich hatte am Ende des Piers so geflucht, weil mir eingefallen war, dass ich genau das vergessen hatte – zu reservieren. Zwar hatte ich es einige Male versucht, doch es war immer besetzt gewesen. Ich erinnerte mich, wie ich vor etwa einer Woche im Büro genervt vor mich hingemurmelt hatte – vor allem natürlich, um damit herumzuprahlen, in welchem Lokal ich zu reservieren versuchte. Doch als ich an diesem Nachmittag auf die geringe Chance hin, dass jemand abgesagt hatte, noch einmal anrief, erfuhr ich, dass ich doch schon reserviert
hätte.
    Unsere Kellnerin erschien. Sie war ein bisschen älter als die meisten anderen, vielleicht Ende zwanzig, ansonsten Standardausgabe: schwarze Hose, gestärkte weiße Bluse, schwarze Schürze, kompetente Erscheinung mit Pferdeschwanz in blond oder braun. Ihrer war hellbraun. »Darf ich den Herrschaften die Dessertkarte bringen?«
    »Aber klar doch«, sagte Steph. »Dachte schon, Sie würden gar nicht fragen.«
    Ich lehnte dankend ab, nahm mein Glas und ließ den Blick über den Circle schweifen. Die Auswahl des Desserts ist bei Steph eine ernste Angelegenheit. Das kann dauern.
    Es war schon fast dunkel, und die Straßenlaternen sahen hübsch aus. Das Gewitter – bescheidener als erhofft, trotzdem wirkungsvoll – hatte sich gelegt, und die Luft war angenehm. Der Circle liegt mitten auf St. Armands Key, von wo aus man nach Lido und Longboat gelangt. Es handelt sich, wie der Name sagt, um einen Kreis rings um einen kleinen Park mit Palmen, Feuerbüschen und orangefarbenen Blüten in der Mitte, von dem andere Straßen abzweigen. Am Circle reihen sich Schickimicki-Läden sowie ein Starbucks und ein Ben & Jerry’s neben einigen der üblichen Speiselokale, inklusive der unvermeidlichen Columbia-Filiale, aneinander – und nunmehr auch das völlig überteuerte Jonny Bo’s, an Sonn- und Feiertagen das Lieblingslokal der Betuchten. Vorerst wird das Bild immer noch von ein paar T-Shirt- und Souvenirläden aufgelockert, doch die waren im Schwinden begriffen, und der Circle war dabei, zu einer der teuersten Einkaufsmeilen des Golfs zu avancieren. Wenn man die gesamte Renovierungs- und Bautätigkeit drüben auf Lido Key bedachte – der nur über den Circle erreichbar ist –, konnte es nur noch besser werden.
    Aber vor fünfzig oder hundert Jahren?
    An der Stelle, wo ich jetzt saß, hatte es außer einer staubigen Straßenkreuzung nur Sand und Gestrüpp gegeben, ein paar Orangenhaine nebst der einen oder anderen Hütte, und abgesehen davon nicht viel mehr als Stelzvögel. In den zwanziger Jahren hatte selbst Sarasota gerade mal dreitausend Einwohner gezählt und nichts anderes zu bieten gehabt als Landwirtschaft und Fischerei. Was ich unter mir sah, war ein weiteres riesiges Spekulationsgeschäft, in anderen Worten – dasselbe wie The Breakers, das gewaltige Bauprojekt Sandpiper Bay auf Turtle Key oder die neuen Apartmenthäuser, die an der südwestlichen Küste von Lido Key nach und nach die alten Motels in Familienbesitz verdrängten.
    Wenn man Grund und Boden zu Geld machen will, geht es in allererster Linie um das richtige Gespür für den Zeitpunkt – man muss wissen, was wann zu tun ist. Ein Typ späht eine gute Lage aus und denkt sich – Hmm … was wäre, wenn?
    Dieser Typ könnte ich sein.
    Steph hatte ihre Wahl getroffen und beobachtete Gäste an den mit Kerzen beleuchteten Tischen im Innern des Lokals. »Ist das da nicht der Sheriff?«, fragte sie.
    Ich folgte ihrem Blick und sah in der Tat, wie Sheriff Barclay aus Richtung der Toiletten kam und das Restaurant durchquerte.
    Er ist – an Größe wie Leibesumfang – ein stattlicher Mann und schwer zu übersehen. Er nahm mich ebenfalls wahr und hob zum Gruß das Kinn. Wir sind uns gelegentlich bei Firmenfesten und Wohltätigkeitsveranstaltungen über den Weg gelaufen. Ich sah, wie ein paar andere Leute registrierten, dass wir uns kannten, und grinste innerlich. Sie würden ja nicht erfahren, dass wir alles in allem keine hundert Worte miteinander gewechselt hatten; sie sahen nur einen Mann mit guten Kontakten.
    »Mir ist gerade bewusst geworden«, sagte ich, »dass ich jetzt etwa so alt bin wie Tony, als er mit dem Bau von The Breakers anfing.«
    »Jetzt ist er also
Tony
für dich?«
    »Auf seinen ausdrücklichen Wunsch.«
    »
Nennen-Sie-mich-Tony
hat allerdings mit einer bereits existierenden
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